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Ein bisschen Frieden

Es ist das Jahr 1914 – seit über 5 Monaten tobt in Europa der Erste Weltkrieg. Die Westfront ist in einem erbitterten Stellungskrieg festgefahren. An Weihnachten stehen sich im belgischen Ypern britische und deutsche Truppen gegenüber. Eigentlich sollten sie sich beschießen, doch sie legen ihre Waffen nieder und singen Weihnachtslieder. Der Weihnachtsfrieden von 1914.

Viele Soldaten, die mit großer Motivation und Siegesgewissheit in den Ersten Weltkrieg gezogen waren, sahen sich schon wenige Monate nach Kriegsbeginn mit einer grausamen Realität konfrontiert. Ein schneller Sieg durch Überraschungsmanöver war nicht zu erzielen, stattdessen lag man sich in kilometerlangen Schützengräben gegenüber und lieferte sich zermürbende Kämpfe. Keine Seite der kämpfenden Parteien schaffte Landgewinn. Hundertausende britische, französische und deutsche Soldaten waren bereits gestorben. Die Überlebenden standen nun im oft knietiefen, eiskalten Schlamm,  wurden geplagt von Ratten und Läusen, rochen den Geruch von Blut und Verwesung und hatten ständige Todesangst. Jeder Blick über den Rand des Schützengrabens hinaus konnte den Tod bedeuten.

Deutsche und britische Truppen während des Weihnachtsfriedens 1914.
(Quelle: Wikipedia / gemeinfrei)

Doch dann passierte am 24. Dezember 1914 etwas Unglaubliches: An der gesamten Westfront kam es zu spontanen Feuerpausen. Die Soldaten waren müde und erschöpft. Viele hatten Angst, Heimweh und eine große Sehnsucht nach Frieden. Anstatt der Schüsse aus den Maschinengewehren und der Artillerie hörte man aus den Schützengräben Weihnachtslieder. Da die Lieder häufig in verschiedenen Sprachen bekannt waren („Stille Nacht, heilige Nacht“ / „Silent night, holy night“), sangen die eigentlich verfeindeten Soldaten diese Lieder nun gemeinsam. Weihnachtsbäume wurden vor den Schützengräben aufgestellt und nach und nach verließen immer mehr Soldaten ihre Stellungen und gingen auf die andere Seite, um sich mit ihren Gegnern zu unterhalten. Als Geschenke wurden Schnaps, Tabak und Lebensmittel ausgetauscht, die die Familien in Paketen an die Front geschickt hatten. Gemeinsam wurden auch die Leichen geborgen, die seit Tagen auf dem Schlachtfeld zwischen den Schützengräben gelegen hatten. Sogar zu gemeinsamen Fußballspielen zwischen Engländern und Deutschen soll es gekommen sein. Die Tore wurden mit Mützen und Pickelhauben abgesteckt. Die einfachen Soldaten aller Parteien merkten plötzlich, dass sie viel mehr mit ihren vermeintlichen Feinden gemeinsam hatten, als mit den eigenen Vorgesetzten und Offizieren.

Der deutsche Soldat Josef Wenzl schrieb in einem Brief an seine Eltern wenige Tage später: „Ein Engländer spielte mit der Mundharmonika eines deutschen Kameraden, andere tanzten, wieder andere hatten einen kolossalen Stolz, auf ihrem Kopf einen deutschen Helm zu tragen. Die Engländer stimmten ein Lied an, wir sangen hierauf ‚Stille Nacht, heilige Nacht’. Es war dies etwas Ergreifendes: zwischen den Schützengräben stehen die verhasstesten und erbittertsten Gegner um den Christbaum und singen Weihnachtslieder. Diesen Anblick werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Man sieht halt, dass der Mensch weiterlebt, auch wenn er nichts mehr kennt in dieser Zeit als Töten und Morden … Weihnachten 1914 wird mir unvergesslich sein.“

Doch in den Generalstäben der Armeen war man verärgert über die spontanen Verbrüderung zwischen den Kriegsparteien. Deshalb erging schon bald der Befehl, dass die Soldaten in ihre Feuerstellungen zurückkehren mussten. Unter der Androhung von harten Disziplinarmaßnahmen sollte jeder Kommandeur persönlich dafür verantwortlich gemacht werden, wenn es zu weiteren spontanen Verbrüderungen kommen sollte. McKenzie Wood, ehemaliger Major und Parlamentsabgeordneter, war noch 30 Jahre später überzeugt, „dass kein weiterer Schuss gefallen wäre, falls wir uns selbst überlassen worden wären. Wir standen untereinander auf freundschaftlichem Fuß.“

Holzkreuz im Gedenken an den Weihnachtsfrieden bei Ypern, Belgien
(Quelle: Wikipedia / gemeinfrei)

Man geht heute davon aus, dass mindestens 100.000 Soldaten der an der Westfront kämpfenden Parteien an dem Waffenstillstand teilgenommen haben, hauptsächlich Briten und Deutsche. Der allgemeine Waffenstillstand endete an einigen englischen Abschnitten erst am 26. Dezember, an bestimmten schottischen Abschnitten am Neujahrstag, da dies von den schottischen Soldaten als ein besonderes Fest gefeiert wurde. Captain J. C. Dunn und Captain C. I. Stockwell von den Royal Welsh Fusiliers, schrieben in ihrem Bericht: „Um 8:30 Uhr wurden drei Schuss in die Luft gefeuert und die Briten hissten eine Flagge mit der Aufschrift „Merry Christmas“. Auf der anderen Seite der Front erschien ein deutscher Hauptmann, der ein Tuch in die Höhe hielt, auf dem „Thank you“ geschrieben stand. Beide salutierten und gingen in ihre Gräben zurück. Ein deutscher Soldat schoss zweimal in die Luft, danach war wieder Krieg.“

Trotzdem kam es auch an Weihnachten 1915 zu Waffenstilständen, wenn auch in deutlich kleinerem Ausmaß als 1914. Es wurde allerdings diesmal von den Befehlshabern unter Androhung von Kriegsgerichtsverfahren nicht mehr geduldet. Ab 1916 gab es schließlich auch die inoffiziellen, kleinen Waffenstillstände zwischen den Gegnern nicht mehr. Das Niemandsland war wieder zu einer ständigen Kampfzone geworden und das Morden sollte noch zwei weitere Jahre andauern.

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