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Darüber lassen wir Gras wachsen

ALARMSTUFE ROT! Der Drogenkrieg fordert immer mehr Opfer! ROT! Drogen sind erwünscht und maßlos erschwinglich! ROT! Sie bergen Suchtpotential! ROT! Illegal hergestellt sind sie noch gefährlicher! ROT! Kapitulation: Immer mehr Stimmen erheben sich für Legalisierung! ROT! Die Grünen fordern Grün für Drogen!

Neulich, im Vorlesungssaal, als er in Gedanken kurz abschweifte, wurde Phillip R. noch einmal wütend. Es waren Erinnerungen an einen Abend, wenige Tage zuvor. Er wollte wie er es gern tut, mit Freunden losziehen und einen Joint rauchen. Er selbst findet nichts dabei, doch einige um ihn herum drückten ihm blöde Sprüche oder verzogen wortlos das Gesicht. Sie verurteilten ihn. Und er kämpft dagegen an.

„Ein Martini-Abend wäre vollkommen legitim. Alkohol trinkt jeder. Dabei ist Cannabis deutlich weniger schädlich. Ein Joint reicht nämlich den ganzen Abend. Bei einem Gläschen Martini bleibt es hingegen selten.“

Auf einem Treffen der Grünen Jugend fehlen die Schlaghosen und die Schnauzbärte der alten Hippies. Der süße Dunst hingegen ist genauso wenig verzogen, wie die grüne Gesinnung. Nur der Zeitgeist, er ist ein anderer – und die Probleme, es sind andere. Wo während des kalten Krieges gegen die Aufrüstung der Bundesrepublik mit US-amerikanischen Atomwaffen demonstriert wurde, steht nun ein neuer Krieg zur Debatte. Die Grüne Jugend setzt sich für die Legalisierung von Drogen ein. Das tun ihre Mitglieder aber nicht nur, weil sie gerne kiffen wollen. Marcel Duda von der Grünen Jugend erklärt uns, warum er sich für Leute wie Phillip einsetzt.

Einen kleinen medienwirksamen Ekalat gab es kürzlich, als sich Martin Lindner – Vizechef der FDP-Bundestagsfraktion – in einer Talkshow einen Joint anzündete, weil er dessen Echtheit angezweifelt hatte. Kritiker schimpften, der Staat kapituliere, lege seine Schutzherrschaft nieder, sobald er Drogen entkriminalisiere, gar legalisiere.

Zumal Lindner als Politiker eine Vorbildfunktion hat, wirkt seine Handlung wie eine Aufforderung zum Drogenkonsum. Und der ist ein Tabu. Sucht wird von der Gesellschaft verpönt. Die Entsagung davon wird gefordert. Und zweifelsohne besteht bei Drogenkonsum ein nicht zu unterschätzendes Suchtpotential. Deshalb zielt die derzeitige Regierungspartei auf Abstinenz. Sie kämpft gegen den Drogenkonsum und -handel, strebt eine drogenfreie Welt an – eine Utopie, so Marcel Duda von der Grünen Jugend.

Ohne die Schutzherrschaft, so die These, verliert sich ein Teil der Gesellschaft schutzlos in den Drogenrausch, verliert das Maß, driftet in die Abhängigkeit. Indem man Drogen, etwa Cannabis, kriminalisiert, schrumpft der Markt, den der Staat kontrollieren kann, und „der Stoff“ ist nur im Verborgenen zu bekommen. Auf diese Weise, so die Annahme, sinkt auch die Nachfrage und damit die Gefahr.

„Es gibt Menschen, die den Stoff trotz allem wollen. Es gab sie immer und es wird sie immer geben. Diese Menschen holen sich den Stoff, ob verboten oder erlaubt. Damit spreche ich nicht nur von denen, die ihn brauchen – von den Süchtigen. Es gibt auch gesunde Menschen wie uns, die sich einfach nur amüsieren wollen. Die Ecstasy-Pille ist ihr Drink an der Bar. Und sie ist weit weniger schädlich als das Maß an Alkohol, das einen gleichgroßen Effekt hat.“, sagt Marcel. Aus dem Drogenbericht der Bundesrepublik von 2011 geht hervor, dass 200 Millionen Menschen weltweit illegale Drogen konsumieren.

Ein Joint in Ehren – kann niemand verwehren? (Bild: jugendfotos.de)

Ebenso wenig, wie der Konsum bei Verbot sinke, steige er bei Entkriminalisierung. Marcel Duda stützt sich auf die Sachlage in Portugal. Dort ist der Besitz von Marihuana nicht mehr strafbar, wie der SPIEGEL in der 8. Ausgabe dieses Jahres verlauten ließ. Trotzdem würden jetzt sogar weniger Joints gedreht werden als zuvor. Deutschland schaue dort nicht hin, lasse stattdessen zu, dass beispielsweise in Kolumbien weiter gerüstet gegen Drogen gefeuert werden würde. Das deutsche Gewehr werde mit Geld geladen und zum Abschuss himmelwärts gerichtet. Die Zahlen, mit denen die Grünen argumentieren, sagen, dass bis zu 6 Milliarden Euro Munition verbraucht werden. Rund 4 Milliarden Euro gebe die Justiz jährlich aus, um Drogendelikte aufzuklären, die Täter zu ermitteln und zu verfolgen. Dass das Problem von der falschen Seite angegangen werde, werfen Kritiker wie Marcel ihr vor.

„Wenn jemand die Drogen aufgegeben hat, dann wohl kaum aus Angst, das Betäubungsmittelgesetz zu verletzen.“ Marcel lacht. „Wenn man die Suchtkranken betrachtet, erkennt man viel eher ein neues Problem: Weil sie sich stellen müssten, holen sie sich keine Hilfe – sie fürchten die Konsequenzen.“ Hier wird sein Blick wieder ernst. Denn lustig geht es auf dem Drogenmarkt ganz und gar nicht zu. Wenn die Menschen nicht legal kriegen, was sie wollen, entsteht ein Schwarzmarkt. Der 500 Milliarden Dollar schwere Drogenmarkt ist einer der schwärzesten. Die Drogen haben diverse Mitfahrgelegenheiten: zwischen Bananenkisten, versteckt in Maschinenbauteilen, Schuhsolen, Bibeln, Brüsten von Frauen, Bäuchen von Hunden, Leichen, als Körperimplantat in Oberschenkeln oder Waden. Transportiert werden sie im Auftrag mafiöser Kartelle, auf Wunsch der Konsumenten, auf Wunsch von Menschen wie dem Studenten Phillip. Häufig ist das Marihuana, das er raucht gepanscht. „Ich weiß nicht, mit was für einem giftigen Zeug der Stoff gestreckt wird. Auch die Konzentration ist häufig schwer einzuschätzen.“ Denn auf dem Schwarzmarkt gibt es keine Qualitätskontrolle. Der Konsument ist dem Hersteller vollkommen ausgeliefert.

„Auch wird kaum jemand darauf achten, umweltbewusst anzubauen.“ Nein, im Drogengeschäft regiert kein Parlament mit grünen Sitzen – ein weiterer Aspekt, der die Grüne Jugend von der Legalisierung überzeugt.

Die Politik versucht, dieses Problem zu lösen, indem sie alle Beteiligten verfolgt. Sie kämpft gegen Kokabauern in Kolumbien und Lagerchefs in Nigeria, gegen Drogenkuriere mit Kokstüten im Bauch, gegen die Drogenkartelle in Mexiko und gegen Phillip, der am Wochenende ein paar Gramm Cannabis in der Hosentasche trägt. Sie kämpft gegen die Killer der Drogenmafia, die sich sowohl gegenseitig, als auch den Feind, die Staatsgewalt, niedermetzeln. Nicht nur Geld wird in den Wind geschossen, auch Menschenleben. Allein in Mexiko fielen 60.000 im Drogenkrieg, die Amis verstopfen ihre Gefängnisse mit Marihuana-Rauchern und die Taliban finanzieren ihre Waffen mit Drogengeschäften. „Der War on Drugs ist so global wie McDonald’s“ schrieb der SPIEGEL.

80% der Gefassten sind Konsumenten, Leute wie Phillip und seine Freunde, die die großen Männer bei den Schultern packen und durchrütteln wollen. „Eure Maßnahmen sind kontraproduktiv!“, rufen sie.

Blätter der Hanfpflanze (Bild: wikipedia.org)

Man sehe zwar das Problem, wolle in die Ökonomie der Drogen eingreifen, begreife aber nicht, dass selbst Hand angelegt werden müsse. Die jungen Grünen fordern die Kontrollübernahme, die Verstaatlichung von Drogen. Will man sich heute ein Tütchen Marihuana kaufen, so kann man zu einem zwielichtigen Laden in die Niederlande fahren und das Produkt erwerben, ohne von der Justiz verfolgt zu werden. Aber die Herstellung des Stoffes ist zweifellos nicht legal erfolgt. Sie liegt in der blutverschmierten Hand mexikanischer Drogenbosse. Weil es kein legales Angebot gibt, landen zurzeit 100% der Gewinne eines Geschäfts, das größer als die Autoindustrie ist, bei Kriminellen. Diese Gewinne sind beträchtlich und ausbeutend – Kapitalismus in seiner reinsten Form. In Putomayo kostet das Kilo reines Kokain nach seiner Herstellung 1300 Euro, an der kolumbianischen Grenze sind es bereits 4000 Euro und auf Jamaika 2000 Euro mehr. Die Dealer in Europa und den USA verlangen an die 30.000 Euro und der Konsument würde in Berlin 400.000 Euro für ein Kilo reines Kokain bezahlen müssen. Bei den günstigeren Drogen ist der relative Mehrwert nicht geringer. „Willst du reich werden, dann fang an zu dealen. Das kann man den Leuten raten“, sagt Marcel höhnisch. Mittellose Menschen brauchen den Stoff, wenn sie süchtig sind. Sie prostituieren sich und andere und stehlen, um an Geld zu gelangen. Sie werden doppelt kriminell. Jeder Konsument wird sozial stigmatisiert, selbst wenn er nicht süchtig ist oder auf den Strich geht. „Hast du einmal gezogen, um lustig zu werden, bist du gleich ein Verbrecher.“, beklagen sich Phillip und seine Freunde, die sich ein bis zweimal im Monat einen Joint gönnen, sonst nie einen Schluck Alkohol anrühren und nicht drogensüchtig sind, später einmal Ärzte und Rechtsanwälte sein werden. Vielleicht wird ein Glas Rotwein ihren Joint dann ersetzen. Noch aber kurbeln sie mit ihrem Konsum den illegalen Drogenhandel an. Im Krieg ist niemand „unschuldig“ – am wenigsten die Ursache dafür. Und die Ursache für den Schwarzmarkt – der Konsum – bedingt auch die Kriminalität darin.

Illegaler Handel unterliegt keinen staatlichen Kontrollen. Ohne diese gibt es indes keinen Jugendschutz. Wer will, der bezahlt, und wer bezahlt, der kriegt. Auch wurden Drogen vor Jahrtausenden als Naturheilmittel angesehen. Heute scheut man sich, die medikamentöse Wirkung von Drogen zu erforschen. Verrückte nähmen Drogen, Böse, Kriminelle, Menschen, die mit ihrem Leben nicht fertigwerden könnten. Phillip meint, der Mensch ersuche von Natur aus die Flucht aus seiner tristen Welt, er sei „rauschbedürftig.“ Im Rausch suche er Trost und Glück, Größe und Sinn, Flucht und Erfüllung, Enthemmung und Bewusstsein – Selbstbewusstsein. Zurzeit muss man dafür noch über Leichen gehen. Jeder muss für sich entscheiden, ob er bereit ist, dies für den persönlichen Rausch zu tun. 200 Millionen Menschen entschieden sich 2011 für Rausch, und gegen ihre Gesundheit. Damit gaben sie dem weltweiten Dogenkrieg Input. Der SPIEGEL titelt „Der Drogenkrieg ist gescheitert. Es ist Zeit für Abrüstung.“

Jüngst überraschte die niedersächsische Gesundheitsministerin Cornelia Rundt (59, SPD) auf der Podiumsdiskussion der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Vorhaben, die Eigenbedarfsgrenze für Haschisch zu erhöhen. Man wolle die Dealer bekämpfen, nicht die Verbraucher.

Total dicht oder nur benebelt? Selbst Politiker fordern die Legalisierung von Gras. (Bild: tumblr.com)

Auch die Grüne Jugend hat Ideen für den Verbraucherschutz. Zunächst müsse die Berichterstattung in den Medien kritischer erfolgen. Immer hieße es, Drogen seien schlecht. Alkohol und Nikotin würden dabei natürlich nicht wie Cannabis und LSD gehandhabt werden. Für Alkohol werde geworben. Der Großteil der Bürger trinke regelmäßig Bier, Wein oder Wodka. Und das sei in Ordnung. Die Zahlen aus dem UN-Weltdrogenbericht vergangenen Jahres sagen: Alkohol forderte 2,3 Million Tote, Nikotin 5,1 Mio. Die illegalen Drogen nehmen rund 200.000 Menschen das Leben. Für die UNO ist das ein Erfolg der Prohibition. Die zahllosen Opfer des Drogenkriegs werden aber nicht zu den Drogentoten gezählt. Marcel Dudas Argumentation wirft die Frage auf, wie die Zahlen wohl aussehen würden, wenn der Staat mehr Geld in die Prävention investiere als in die Strafverfolgung?

Der junge Politikmacher beschreibt, wie es nach der Vorstellung der Grünen Jugend sein könnte: „Der Staat errichtet Drogen- und Alkoholfachgeschäfte. Man darf sich diese aber nicht wie Edekas für Drogen vorstellen – eher wie Apotheken. Die Werbung für Drogen und Alkohol wird gänzlich verboten. Auf alle Rauschmittel wird eine Steuer erlassen. Es gilt das Prinzip: Regulation statt Prohibition. Die Drogen kommen zum einen aus reguliertem Anbau, zum andern liegt ihnen eine Packungsbeilage bei.“ Auch ein Drogenführerschein ist im Gespräch, sodass die Aufklärung jedes Konsumenten garantiert wird. Höchstmengen und Altersbeschränkungen könnten so leichter durchgesetzt werden. Die Fachkräfte würden beratend fungieren und zwangsweise auch den Süchtigen nahestehen. „Wenn jemand dreimal wöchentlich Heroin shoppen geht, fällt das auf. Ihn würde man ansprechen, ob er nicht vielleicht ein Problem hätte oder Hilfe bräuchte. Vielleicht würde man das dreimal wöchentliche Shoppen auch unterbinden. Da die meisten Menschen Wert auf den bewussten Konsum legen und wissen wollen, was sie nehmen, würde das Geschäft krimineller Drogendealer immer kleiner werden und schließlich ganz der Vergangenheit angehören.“ Die eingesparten Gelder werden in ebendiese Läden investiert, in Prävention und Therapie, in Wohneinrichtungen wie die STEPKIDS, bei der sich drogenabhängige Jugendliche clean auf die Rückfindung in das normale Leben begeben können. Der Umgang mit Drogen und Alkohol würde in einer Welt, in der mit offenen Karten gespielt wird, automatisch bewusster werden. „Die Leute hätten nicht mehr Zeit für Party als vor der Legalisierung. Vielleicht würden sie die eine oder andere Flasche Korn liegen lassen und einmal bewusster auf etwas weniger Schädliches zurückgreifen.“ Marcel hält inne. „Auch wir müssten uns nicht kriminell fühlen, wenn wir uns einmal im Monat einen Joint gönnen würden.“

1 Kommentar

  1. Sehr schöner Artikel!
    Ich habe grundsätzlich auch nichts gegen die Legalisierung bestimmter Drogen, allerdings ist das Problem, dass Drogen noch leichter unterschätzt werden können als Alkohol und somit schnell gefährlich werden können.
    Ich denke aber, dass auf jeden Fall die Legalisierung von “weichen Drogen” dazu führen wird, dass “harte Drogen” weniger “Absatz” finden.
    Ich bin auf jeden Fall gespannt auf einige interessante Konversionen zwischen Politikern und Experten in der nächsten Zeit!

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