Den Tod nicht totschweigen
In der Vorbereitung auf dieses Interview konnten wir selber spüren, wie sehr das Thema Tod ein Tabuthema ist. Wir haben in der Redaktion intensiv darüber diskutiert, ob es Menschen gibt, die über den Verlust eines nahen Verwandten sprechen wollen und welche Fragen man ihnen stellen kann und darf. Ist dieses Thema nicht viel zu privat, sind die Gefühle nicht viel zu intim, um sie in der Öffentlichkeit preiszugeben? Wie schaffen wir es, dass dieses Interview das Thema Tod enttabuisiert und nicht zu einem bloßen Gefühlsvoyeurismus werden lässt?
Wir haben uns dazu entschlossen, mit vier Personen ein Gespräch zu führen, um so zeigen zu können, dass es unterschiedliche Wege gibt, mit dem Tod umzugehen. Saskia Ennens, Schülerin im Jahrgang 10 und Reinhard Walter, Lehrer am LSG, verloren beide im vergangenen Jahr ihre Mutter. Alina Buxmann, Schülerin im Jahrgang 9, verlor ihre Großtante, zu der sie ein sehr enges Verhältnis hatte und Lea Salden berichtete uns über den Tod ihrer Uroma.
Es wurde ein sehr langes, emotionales und intensives Gespräch, in dem die Gesprächsteilnehmer erzählten, wie sie mit dem Tod umgegangen sind und was sie damals und heute bewegt.
Frage: Wie genau habt ihr von dem Todesfall erfahren?
Alina: Als meine Großtante, die mir sehr nahe stand, starb, war ich im Zeltlager. Mein Vater hat es mir damals am Telefon erzählt und ich bin auch sofort in Tränen ausgebrochen. Kurz vor dem Griff zum Hörer, hatte ich schon ein flaues Gefühl im Magen. Mir war zwar schon vor der Ferienfreizeit bewusst gewesen, dass es nicht gut um sie stand, doch die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Ich habe versucht den Kummer durch Ablenkung zu verdrängen und bin deshalb im Zeltlager geblieben. Dass ich mich nie richtig von ihr verabschieden konnte, hat immer sehr an mir genagt.
Reinhard Walter: Wir wussten seit ein paar Tagen, dass es für meine Mutter keine Hoffnung mehr gibt. Wir versuchten dann, möglichst oft bei ihr zu sein, aber natürlich ging das nicht rund um die Uhr, denn irgendwann muss man essen und schlafen. Am Montagmorgen rief das Krankenhaus an und die Krankenschwester sagte, dass es nun zu Ende gehen würde. Wir sind dann sofort zum Krankenhaus gefahren, aber als wir dort angekommen sind, kam uns die Krankenschwester schon auf dem Flur entgegen. Sie musste in diesem Augenblick gar nichts sagen, ich sah an ihrem Gesicht, dass wir zu spät waren.
Lea: Meine Uroma war schon lange im Pflegeheim bevor sie gestorben ist. Irgendwann ist sie aber dann auch ins Krankenhaus gekommen. Ich hab mich jedes Mal, wenn ich sie gesehen hab, so von ihr verabschiedet als wenn es das letzte Mal gewesen ist. Als sie dann wirklich gestorben ist, habe ich mir dann Vorwürfe gemacht, dass ich sie eigentlich öfter hätte besuchen sollen. Doch dann dachte ich wiederum, dass meine Uroma ein schönes und langes Leben gehabt hat, in dem sie viel erlebt hat.
Saskia: Wir wussten, dass unsere Mutter schlimm krank war. Kurz vor ihrem Tod war ich in einem Marienhaus, wo ich Betreuerin war. Und dort habe ich dann auch am letzten Tag von einer Schwester vom Tod meiner Mutter erfahren.
Frage: Welche Gefühle empfindet man in dem Moment, in dem man realisiert, dass der Mensch, der einem so viel bedeutet hat, tot ist?
Saskia: Ich wollte in dem Moment einfach nur allein sein und bin weggelaufen. Ich konnte mich leider nicht richtig von ihr verabschieden und habe zunächst versucht, das zu verdrängen. Ich wollte nicht weiter darüber nachdenken. Ich habe mich dann aber oft gefragt: „Warum gerade sie? Warum musste das passieren?“ Dieses Gefühl ist einfach unbeschreiblich.
Alina: Die Leere, die nach dem Verlust im Inneren zurückbleibt, ist das Schlimmste. Als wäre man aufgerissen worden. Ich hab mir, wie Lea, Vorwürfe gemacht, dass ich sie in letzter Zeit nicht so oft gesehen habe, dass ich bei unserer letzten Begegnung nicht einmal richtig Tschüss gesagt hatte. Oft stellte sich mir die Frage, warum sie und immer dann kochte Wut in mir auf.
Reinhard Walter: Weil meine Mutter so plötzlich und unerwartet verstorben ist, war das Gefühl der Leere und Fassungslosigkeit sehr stark. Man erlebt zwar alles hautnah mit, trotzdem fühlt es sich an, als wäre man „im falschen Film“, als sei das nicht real. Dann schießen einem tausende Fragen und Gefühle durch den Kopf „Wie konnte das passieren? Warum ausgerechnet sie?“, Traurigkeit, Wut, Ratlosigkeit. Es braucht Zeit, dass alles zu sortieren, um wieder klar denken zu können.
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