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Der Friedhof namens Mittelmeer

Es ist ein Grauen: allein in den letzten Wochen ertranken über 1500 Menschen im Mittelmeer. Tausende Flüchtlinge sind gezwungen aus ihren Heimatländern vor Armut, Verfolgung und Terror zu fliehen. Was kann Europa dagegen unternehmen? Weiter zusehen, wie Tausende in den Wellen umkommen oder haben wir einen Plan, der diese Katastrophe ein für alle Mal beendet?

Tatsächlich versuchen Flüchtlinge schon seit Jahren über diesen Weg in die Sicherheit zu gelangen. Im Jahr 2010 kamen circa 10.000 Menschen als Flüchtlinge über das Mittelmeer. Dann ereignete sich im Jahr 2011 der sogenannte Arabische Frühling und ließ die Zahl der Flüchtlinge auf 70.000 rapide ansteigen. Nachdem in den Jahren 2012 und 2013 die Zahlen wieder rückläufig waren, ließ der Syrienkonflikt die Zahl der Flüchtlinge im Jahr 2014 auf ein neues Rekordhoch steigen. Mehr als 220.000 Menschen machten sich auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer. Für 2015 rechnet man insgesamt mit einer Zahl von 500.000 bis zu einer Million Flüchtlingen. Wie viele Menschen auf ihrer Flucht über das Mittelmeer ums Leben gekommen sind, kann nur geschätzt werden. Das Projekt “Migrant Files” schätzt die Zahl der Todesopfer seit dem Jahr 2000 auf 25.000 bis 80.000.

Doch warum versuchen so viele Menschen auf diesem gefährlichen und vor allem illegalen Weg nach Europa zu kommen? Die Antwort ist simpel: Wer einen Asylantrag für ein europäisches Land stellen möchte, muss zunächst nach Europa einreisen. Doch dafür benötigt man ein Visum, das Menschen in Krisengebieten jedoch meistens nicht erhalten können. Zum einen sind die diplomatischen Vertretungen in Krisenregionen häufig geschlossen, zum anderen müssen strenge Bedingungen erfüllt werden, wie z.B. der Nachweis von ausreichenden finanziellen Mitteln.

Die Hauptrouten der Mittelmeer-Flüchtlinge. (Quelle: Frontex Annual Risk Analysis 2014)

Die Hauptrouten der Mittelmeer-Flüchtlinge.
(Quelle: Frontex Annual Risk Analysis 2014)

Zuständig für die Seenotrettungs-Operationen im zentralen Mittelmeer sind derzeit die Küstenwachen von Italien und Malta. Unterstützt werden sie von den Schiffen der europäischen Operation „Triton“, die der Grenzschutzagentur Frontex unterliegt und im November 2014 „Mare Nostrum“ abgelöst hat. Doch „Triton“ ist in erster Linie, so die Kritik von Menschenrechtlern, für den Grenzschutz zuständig und nicht für die Rettung von Menschen auf hoher See. Die Kosten für “Triton” belaufen sich in etwa auf drei Millionen Euro pro Monat, ungefähr ein Drittel der Kosten der Operation „Mare Nostrum“.

Beim Flüchtlingssterben im Mittelmeer geht es aber um Menschen, wieso beschäftigen wir uns also dann mit so vielen Zahlen? Weil die Zahlen verdeutlichen, wie dramatisch die Lage der Flüchtlinge ist und wie beschämend die Reaktion der EU. Nur zum Vergleich: Die Rettung der Bank Hypo Real Estate kostete die deutschen Steuerzahler rund 20 Milliarden Euro. Mit diesem Geld könnte man die Operation „Mare Nostrum”, die der EU zu teuer war, 185 Jahre lang finanzieren. Und ein Monat Seenotrettung vor der Küste Libyens kostet in etwa so viel wie 9 Tage Baustillstand auf dem Pannenflughafen BER.
Der EU-Flüchtlingsgipfel beschloss nun die Operation Triton mit mehr Geld auszustatten und mit ein paar Fregatten, Schnellbooten und Hubschraubern zu erweitern, die jedoch nicht vor der Küste Libyens oder auf hoher See, dort wo die meisten Menschen ertrinken, kreuzen, sondern vor der Küste Italiens. Viele zeigten sich von den Ergebnissen enttäuscht, die Organisation Pro Asyl sprach von einem “Gipfel der Schande”. Der deutsche Innenministers Thomas de Maizière ist der Meinung, ein Ausbau der Seenotrettung wirke wie ein Magnet auf Fluchtwillige und unterstütze gleichsam die kriminellen Schleuser. Doch die Einstellung von „Mare Nostrum“ hat gezeigt, dass die Gleichung „Weniger Rettung heißt weniger Flüchtlinge“ nicht aufgeht. Die Zahl der Flüchtlinge ist gestiegen und mit ihr die Zahl der Todesopfer.

Die bisherige Flüchtlingspolitik der EU, die ausschließlich auf Abschreckung und Abschottung setzt, ist gescheitert. Es spielt keine Rolle, wie viele Polizisten wir an unseren Grenzen auf Patrouille schicken oder wie hoch wir die Zäune bauen, die Flüchtlinge abschrecken sollen. Auch die vielen Todesopfer werden die verzweifelten Menschen nicht davon abhalten, auch weiterhin ihr Leben zu riskieren, eingezwängt auf einem primitiv ausgestatteten Boot, mit hunderten von Leidensgenossen, die das gleiche durchmachen, die sich überschuldet haben, mit einer minimalen Chance auf ein freies Leben, ohne Unterdrückung der Regierung, die ohnmächtig ist, aus eigener Kraft Frieden im eigenen Land herzustellen. Doch das alles schreckt die Menschen auf den Flüchtlingsbooten nicht ab, denn kein Schrecken ist größer als der, vor dem sie versuchen zu fliehen.

Können wir denn alle Menschen, die nach Europa wollen, auch aufnehmen? Nein, das wird nicht funktionieren, aber wir werden auch nicht alle Asylsuchenden abweisen können. Die EU muss mehr tun: bei der Seenotrettung und der Bekämpfung von Schleuserbanden. Zudem müssen mehr legale Wege nach Europa ermöglicht werden und innerhalb der EU eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge erfolgen. Nicht zuletzt muss aber auch den notleidenden Staaten Afrikas geholfen werden, denn die beste Hilfe ist die, die die Flucht überflüssig macht. Das alles kostet Geld, wahrscheinlich sogar viel Geld, aber wenn wir Banken retten, dann dürfen wir nicht fragen, wie viel uns die Rettung von Menschenleben wert ist.

Titelbild: Quelle: flickr.com/IB Aarmo
In diesem Video berichtet Maya Alkhechen von ihrer Flucht aus Syrien mit dem Boot nach Europa.

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