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Ein Mauerfall – drei Erinnerungen

Der Mauerfall 1989 war eines der herausragenden historischen Ereignisse des 20. Jahrhundert. Und alle, die zu diesem Zeitpunkt schon geboren waren, können sich noch daran erinnern, wie sie diesen Tag erlebt haben. Dies gilt natürlich auch für unsere Lehrer. Wir haben zwei Lehrerinnen und einen Lehrer zu ihren persönlichen Erinnerungen befragt.

laurentinews.de: Was sind Ihre Erinnerungen an den 9. November 1989?
Ich erinnere mich daran, dass ich zu der Zeit in London in einer WG gewohnt habe, die ich mit einer Schottin, einem Waliser, einem Engländer und einem Deutschen geteilt habe. Wir haben abends vor dem Fernseher gesessen und es wurden Szenen der Maueröffnung gezeigt. Meine Gefühle angesichts dieser Bilder waren natürlich ganz andere als die der anderen, denn mein deutscher Mitbewohner und ich hatten Empfindungen, die die anderen nicht teilen konnten. Ich weiß, dass uns das emotional sehr berührt hat, die Briten aber eher ein wenig besorgt waren, weil sie dachten, dass jetzt ein großes, möglicherweise bedrohliches, Deutschland entstehen könne. Das hatte aber nichts mit unseren Empfindungen zu tun.

Was waren Ihre ersten Gedanken?

Wow, da wäre ich jetzt auch gerne, um es live mitzuerleben. Ich bin ganz weit weg. Ich gehöre gar nicht zu diesem Ereignis, weil ich im Ausland bin. Ich kann daran gar nicht teilnehmen. Leider hatten wir auch noch nicht die technischen Mittel, um Informationen aus verschiedenen Quellen zu bekommen, sondern haben eben auf die Berichterstattung im britischen Fernsehen warten müssen.

Halten sie die deutsche Einheit für geglückt/abgeschlossen?

Ich halte sie für relativ geglückt und im weitesten Sinne auch für abgeschlossen. Natürlich gibt es noch gewisse Unterschiede zwischen Ost und West. Ich denke aber, dass sich das mit jeder neuen Generation mehr angleichen wird.

Wie oft waren Sie schon in Ostdeutschland und wie gefällt es Ihnen dort?

Wir sind nach dem Mauerfall bei der nächsten Gelegenheit nach Ostdeutschland gefahren, als eben noch keine optisch sichtbaren oder baulichen Umbrüche stattgefunden hatten. Wir sind damals tatsächlich das erste Mal nicht die Transitstrecke gefahren, sondern einfach ins Land hinein und haben geschaut, wie es dort aussieht, aber das war nur eine kurze Stippvisite, sodass ich eigentlich nur wenige Erinnerungen daran habe. Inzwischen fahre ich nicht mehr „nach Ostdeutschland“, sondern ich fahre z.B. an die Ostsee, nach Berlin oder nach Dresden. Für mich ist das nicht mehr Ostdeutschland in dem Sinne, dass ich eine Grenze in ein anderes Land überschreite. Das war es vielleicht noch bei unserer allerersten Fahrt dorthin, kurz nach der Öffnung, später nicht mehr.

Was haben Sie am Tag des Mauerfalls gemacht und wie haben Sie davon erfahren?

Ich war beim Mauerfall erst drei Jahre alt, weswegen ich davon nichts mitbekommen habe, aber meine Eltern waren damals nicht zuhause. Also war ich bei meinen Großeltern, weil meine Eltern zwei Wochen in München waren. Diese haben also über das Fernsehen und Radio in München vom Mauerfall erfahren, weil sie zu der Zeit ja bei unserer Verwandtschaft waren. Wenn man aus der DDR raus wollte, musste man ja einen Ausreiseantrag stellen, auch wenn man Verwandte besucht hat. Den hatten sie bewilligt bekommen zu der Zeit und waren dort im Urlaub bei Verwandten und mussten mich zurücklassen in der DDR bei meinen Großeltern sozusagen als Pfand, damit sichergestellt wird, dass sie zurückkehren.

Wo haben Sie in Ostdeutschland gelebt?

Ich komme aus dem Heilbad Heiligenstadt in Thüringen und wir hatten es von dort aus nur 15 Kilometer bis zur Grenze. Das heißt, wir wohnten ganz grenznah direkt neben dem Sperrgebiet und meine Großeltern sind dann am nächsten Tag das erste Mal in den Westen gefahren nach Duderstadt. Duderstadt gehört auch heute noch zu unserem Landkreis, aber der Landkreis Eichsfeld, wo ich herkomme, ist in Ost und West geteilt worden in der DDR- Zeit. Und meine Großeltern sind nach Duderstadt gefahren, um zum einen natürlich den Westen zu sehen, den sie sehr lange nicht gesehen hatten und um Begrüßungsgeld abzuholen. Es gab für jeden der kam 100 DM Begrüßungsgeld pro Kopf, deshalb haben sie mich natürlich mitgenommen, weil wir dann schon mal drei Köpfe waren.

Was waren ihre bzw. die Empfindungen ihrer Eltern und Verwandten?

Als Kind hat man darüber nicht nachgedacht. Man hat schon gemerkt, dass sich nicht alles gleich verändert hat, aber es ist eher so, dass ich jetzt als Erwachsene nach und nach mit denen ins Gespräch komme und jetzt auch zum Anlass 30 Jahre Wiedervereinigung ganz viel gesprochen habe mit meinen Großeltern und Eltern, um zu fragen, wie die das empfunden haben und sie sagten, dass sie skeptisch waren, ob das nicht sofort wieder zurückgenommen wird und, ob man wirklich seine Verwandten so besuchen kann, also, ob man frei reisen kann. Das kannten meine Eltern ja zum Beispiel selbst noch nicht. Wir sind daher in den 90er Jahren viel verreist, jedes Jahr in ein anderes Land und es war ganz spannend einfach ein bisschen Europa kennenzulernen.

Sehen Sie die Wiedervereinigung Deutschlands als politisch abgeschlossen an?

Ich glaube abgeschlossen ist Politik und sind Länder eigentlich niemals. Da gibt es immer etwas zu tun und man muss immer wieder an sich arbeiten. Ich finde es eigentlich eher bedenklich, dass es weltweit wieder Tendenzen gibt, Mauern zu bauen oder irgendwie wieder zum Egoismus von Einzelstaaten zurückzukehren. Auch diese Abschottungsprozesse in Europa, dass man darüber nachdenkt, wieder Grenzkontrollen einzuführen, finde ich ganz schrecklich. Ich bin ein großer Verfechter und Freund des freien Reisens, weil mir das selbst ganz viel gebracht hat. Ich glaube ganz viele Leute haben Angst. Das ist einfach der Grund, warum sie sowas wieder wollen und vermehrt auch in Ostdeutschland wieder eher rechts gewählt wird und der Populismus so auf dem Vormarsch ist.

Besuchen Sie Ostdeutschland denn noch oft?

Klar, ich komme ja daher und fahre dann zum Beispiel zu meinen Eltern. Ich schaue mir auch gern nicht nur Ostdeutschland, sondern auch Westdeutschland an, da deutsche Gegenden echt sehr vielfältig sind. Und im Osten sind ganz viele unwahrscheinlich spannende mittelalterliche Städte und ganz tolle historische Orte.

laurentinews.de Sie kommen ja aus Ost-Deutschland , wie oft reisen sie da noch hin?

Herr Pilz: Ich war erst zu meinem Geburtstag bei meinen Eltern und ich fahre da auch noch recht häufig , so fünf bis sieben Mal im Jahr, hin. Ich lebte früher in der Kleinstadt Templin, dort wo unsere Bundeskanzlerin geboren ist, aber viele meiner alten Freunde leben jetzt nicht mehr im ländlichen Raum, sondern in Berlin.

Was sind ihre Erinnerungen an den 9. November 1989 und was haben sie da gemacht?

1989 war ich neun Jahre alt und es war mein eigener Geburtstag. Von daher ist es ziemlich witzig, dass ich immer an meinem Geburtstag an die Öffnung der innerdeutschen Grenze erinnert werde. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich schon im Bett war, als es im Fernsehen bekannt gegeben wurde und mein Papa mich geweckt hat. Bei uns gegenüber vom Haus war ein Güterbahnhof und dort haben die sowjetischen Militärs sehr viel Kriegsgerät verladen und sogar Raketen abtransportiert. Es gab ja sehr viele Menschen, die sofort losgestürmt sind und dachten, es sei bestimmt nur ein Versehen und ,,Wenn wir jetzt nicht abhauen kommen wir hier bestimmt nie raus“, aber meine Familie ist nicht sofort nach Westberlin gefahren, sondern wir sind erst noch Zuhause geblieben und haben abgewartet. 

Wissen sie noch was ihre ersten Gedanken waren, als sie davon erfahren haben?

Ich glaube, ich konnte es damals nicht einordnen. Ich habe eine schöne Kindheit in der DDR gehabt, das ist keine Frage, aber als Kind hat man vieles nicht so wahrgenommen: Weder die Überwachung durch die Stasi noch die Reisefreiheit oder die Knappheit an Baumaterialien und Nahrungsmitteln.

Und was empfanden sie als positiv?
Es war sehr positiv, dass zum Beispiel die Kinder nicht auf der Straße rumgelungert haben. Alle hatten nachmittags irgendwas zu tun, waren in Sportvereinen oder haben sich in irgendwelchen anderen Gruppen getroffen. Es war nie so, dass man Kinder gesehen hat, die an Bushaltestellen abhingen oder irgendwelchen Mist machten. Die DDR war sehr sozial was zum Beispiel die Kinderbetreuung anging.

Und wenn sie jetzt zurückblicken, halten sie die deutsche Einheit dann für geglückt bzw. abgeschlossen?

Herr Pilz: Ich bin ja ein Ost-Kind und habe mein Referendariat, das ist das schönste Beispiel, in Trier gemacht und dort hat kein Mensch damit gerechnet, dass dort jemand aus dem Osten ist. Alle waren völlig überrascht, als ich ihnen das irgendwann mal gesagt habe und haben mich sogar zum Vorsitzenden der Studienreferendare gewählt. Was ich damit sagen will: In meiner Generation ist dieses ,,Du bist ein Ossi“ und ,,Du bist ein Wessi“  schon seit Jahren nicht mehr relevant. Ich finde es schade, dass es in den älteren Generationen noch teilweise so verankert ist. Ich glaube, das hat einfach nur was mit der Sozialisierung zu tun, die im Osten ganz anders war als im Westen.

In welcher Hinsicht war es anders?
Im Westen war es typisch, dass der Mann das Geld verdient hat, die Frau sich Zuhause um die Kinder gekümmert und später irgendwann einen Halbtagsjob angefangen hat. Im Osten haben die Leute viel früher Kinder bekommen weil man sonst keine Wohnung bekommen hat, haben früher geheiratet, die Kinder sind nach einem Jahr in die Krippe gegangen und dann ist die Frau wieder voll arbeiten gegangen. Es war einfach ein anderes Leben. Und aufgrund der Tatsache, dass das Ostsystem nicht auf Leistung orientiert war, aufgrund der volkseigenen Betriebe, mussten sich die Leute beim Arbeiten auch nicht anstrengen, denn es gab keine Konkurrenz. Im Westen gab es schon immer diesen ,,Wettbewerb“ unter Unternehmern und Gewerben. Deswegen ist dort auch eine ganz andere Unternehmermentalität und da schimpfen Ossis und Wessis ja oft mit Klischees übereinander. Aber das ist in meiner Generation, und allen die nach mir kommen, schon nicht mehr so wichtig

Um die Frage zu beantworten: Ich glaube schon, dass die Einheit geglückt ist, aber es gibt nach wie vor regionale Unterschiede zwischen Ost und West. Ich finde auch die momentan aufkommende politische Debatte mit der AFD, die besonders im Osten sehr stark ist, schwierig. Aber das hat eben auch etwas mit der wirtschaftlichen Situation und der sozialen Lage der Menschen dort zu tun. Sie sind politikverdrossen, denen geht’s nicht so gut und die suchen natürlich einen Sündenbock. Wenn da einer steht, wie Björn Höcke, der denen den perfekten Sündenbock auf den Präsentierteller liefert, dann schießen sie sich natürlich darauf ein. Das ist natürlich auch eine Frage vom Intellekt.

Was sehen sie denn noch für Unterschiede zwischen Ost und West?

Herr Pilz: Im Osten gibt es nach wie vor eine ganz schlechte Industriestruktur, es gibt weniger Arbeitsplätze, weniger Gewerbe, die kleineren Städte im Osten bluten aus wegen der Abwanderung, es bleiben die Rentner und die Ungebildeten übrig und das ist ein Problem. Ich finde dafür den Osten landschaftlich viel schöner, zumindest im nördlicheren Teil.Ansonsten gibt es für die jüngeren Generationen nicht viel mehr Unterschiede, die Klischees sind eher in den Köpfen der Älteren. Ich halte die deutsche Einheit für geglückt und das Schöne ist auch, dass die Hauptstadt im Osten liegt. Wenn es Bonn geblieben wäre, wäre es irgendwie eigenartig gewesen, weil Berlin schon immer die Hauptstadt von Deutschland war. Von daher glaube ich, dass auch das dazu beigetragen hat, dass Deutschland näher zusammengewachsen ist.


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