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Unzertrennlich aber teilbar

Warum wir es lieben, alles zu teilen und teilen, wen wir lieben.

Ihr Herz pocht wie verrückt, immer wieder schleicht sich scheinbar unbegründet ein Lächeln in ihr Gesicht und ständig muss sie sich dem Drang widersetzen, wie eine Verrückte durchs Zimmer zu tänzeln. Niemand würde es bestreiten: Lisa ist verliebt. Und das allerschönste an der Sache ist, dass es ihrem Schwarm Patrick genauso geht. Seit dem gestrigen Abend schweben beide auf Wolke 7. Der gemeinsame Kinobesuch hat Patrick in seiner Annahme bestätigt, dass Lisa ähnlich für ihn empfindet  wie er für sie. Bei dem Gedanken daran, wie ihre Wangen sich unverkennbar rot färbten, als sie ihn erblickte, muss Patrick lächeln. Auch entging ihm nicht, wie ihr schüchterner Blick sich dauernd auf ihn richtete. Schließlich hatte es an ihm gelegen, auch seinerseits Signale auszusenden. So ergriff er, als sich bei einer romantischen Filmszene die perfekte Gelegenheit bot, ihre Hand und scheute sich nicht ihr bald darauf einen sanften Kuss auf den Mund zu hauchen. Nach dem anschließenden Restaurantbesuch war für beide klar, dass die Beziehung ihren Lauf nahm. Doch nun gilt es, ebendiese Wendung bekannt zu geben. Und zwar allen. Gerade darauf freut sich Patrick besonders. Endlich kann er der Welt zeigen, was für ein tolles Mädchen er abbekommen hat. Seine Freundin hingegen treibt der Gedanke daran, mit den Meinungen anderer konfrontiert zu werden, nur Sorgenfalten auf die Stirn.

Mit zittrigen Knien steigt Lisa am nächsten Vormittag auf eine Sitzbank, die auf dem Schulhof steht. Endlich kann sie diesen Akt hinter sich bringen. Ihr Motto lautet: Wenn, dann richtig. Sie will nach Möglichkeit kein zweites Mal in diese Situation geraten. So hofft sie auch, dass das, was zwischen ihr und Patrick ist, möglichst lange hält, dass ihr Beziehungsstatus sich nicht allzu oft ändert und dass ihr gesellschaftlicher Ruf so nicht beeinträchtigt wird.

Es ist große Pause. Alle Freunde, Klassenkameraden und das, was man „gute Bekannte“ nennt, scharen sich vor ihr zusammen. Lisa hat etwas zu verkünden – und es scheint nicht unwichtig zu sein. Der schrille Pfeifton des Megafons lässt auch die letzten Gespräche verstummen. Für Lisa wird es höchste Zeit, mit der Sprache herauszurücken. Ihre Zuhörer werden ungeduldig. Also nimmt sie sich zusammen, holt ein letztes Mal tief Luft und sagt dann in knappen und deutlichen Worten, was es zu sagen gibt: Ich bin kein Single mehr, sondern in einer Beziehung. Mit Patrick Schulze.

Einigen Wenigen kommt der gemeinsame Kinobesuch des Paares in den Sinn. Klar, dass zwischen Lisa und Patrick etwas lief. Die meisten der Anwesenden trifft Lisas Bekanntgabe jedoch völlig überraschend. Wann hat sie denn das bloß geschafft? Patrick und Lisa trafen sich? Woher kennen die beiden sich überhaupt?

Dementsprechend fallen die Reaktionen auf die Nachricht des Tages auch von Grund auf verschieden aus. Einige klatschen in die Hände oder geben begeisterte Pfiffe von sich, andere gratulieren Lisa und wünschen ihr viel Glück. Die Neugierigsten löchern sie mit Fragen. Doch die meisten nehmen die Bekanntgabe gerade einmal zur Kenntnis und gehen wieder.

Diese kleine Geschichte mag skurril und unwirklich erscheinen. Niemand stellt sich mit einem Megafon in die Öffentlichkeit und posaunt heraus, mit wem er gerade eine Beziehung führt. Und doch geschieht genau dies jeden Tag tausende vielleicht sogar hunderttausende Male. Nicht auf einem Schulhof oder einem Marktplatz, sondern auf Facebook.

Dass dieses Social-Network für viele Menschen heutzutage eine sehr wichtige Rolle spielt, ist bekannt. Einige verbringen sogar mehr ihrer Zeit virtuell als wirklich und nehmen die Bedeutung des Facebook-Slogans zu ernst. „Facebook ermöglicht es dir, mit den Menschen in deinem Leben in Verbindung zu treten und Inhalte mit diesen zu teilen.“ Um nur ein Beispiel ungewollter Entwicklungen aufzuzeigen, werden in den hier beschriebenen nicht selten auftretenden Problemfällen, alle sozialen Kontakte nur aufs Virtuelle reduziert. Dieses Phänomen bekräftigt unter anderem das, was inzwischen selbst denjenigen bewusst sein dürfte, die nicht bei Facebook angemeldet sind: Facebook hat die Welt in der wir leben verändert. Die wohl größte Folge immensen Konsums ist das krampfhafte Bedürfnis, sich immer und überall allen seinen „Freunden“ mitteilen zu müssen. So nimmt Facebook einen großen Teil unserer Gedanken und Zeit in Anspruch. Es verleitet uns zu Handlungen, die wir – würde dieses soziale Netzwerk nicht existieren – nicht einmal in Erwägung gezogen hätten.

Erst der Beziehungsstatus lässt den Startschuss verlauten

Jeder Facebook Nutzer hat die Wahl zwischen verschiedenen Beziehungsstatus: „Single“, „Verlobt“, „Verheiratet“, „In einer Beziehung“ und natürlich das vielsagende „Es ist kompliziert“. Mit dieser Meldung kann er also andere darüber in Kenntnis setzen, ob er für sie beispielsweise noch erschwinglich, oder gar als Beziehungsratgeber in Betracht zu ziehen ist.

Dabei sind zwar die meisten, die ihren Beziehungsstatus angeben, ehrlich, doch kommen häufig auch sogenannte Fake-Beziehungen zustande. Nicht selten werden von Langeweile getriebenen Facebook-Nutzern die im vorletzten und letzten Jahr besonders begehrten Facebookpflichten kreiert, die einen aus Spaß zu bestimmten, häufig völlig unsinnigen Taten verleiten. Derartige Facebook-Gadgets fungieren per Zufallsprinzip. Exemplarisch „muss“ man, wenn der Beitrag mindestens zehn Leuten „gefällt“, allen einen Smiley an die Pinnwand posten. Und so kann einen seine Facebookpflicht auch dazu veranlassen, sich als „verheiratet“ mit demjenigen auszugeben, dem der Beitrag als erstes „gefiel“, auch wenn die Beziehungsangabe natürlich nicht der Wahrheit entspricht.
Um wieder auf die bewahrheiteten Partnerschaften zurückzukommen, fällt ein weiterer wesentlicher Gesichtspunkt in Auge.

Während es vor einigen Jahren noch im persönlichen Ermessen jedes Paares lag, wo sie den Anfangspunkt ihrer Beziehung setzten, nach dem ersten „Ich liebe Dich“, beim ersten Kuss oder der ersten gemeinsamen Nacht, ist heutzutage die Grenze zwischen dem „wir lernen uns kennen, verlieben uns ineinander und sehen was kommt“ und dem „wir sind ein Paar“ klar definiert und – zumindest bei allen Facebook Nutzern – mit der gleichen Maßnahme zu besiegeln. Es besteht kaum noch ein Zweifel daran: Man ist erst dann richtig „zusammen“, wenn es durch den Facebook Beziehungsstatus bestätigt ist.

Darüber hinaus war es dem Paar aus dem Vor-Facebook-Zeitalter freigestellt, wann sie ihre Beziehung bekannt gaben. Heute beginnt sie mit der Beziehungsanfrage und wird durch sie auch gleichzeitig offiziell. Eine Partnerschaft zu führen, ohne dies auf Facebook bekannt zu geben? Unmöglich und bestenfalls bei einer flüchtigen Affäre erlaubt.
Also heißt es heutzutage der halben Welt oder zumindest den 400 Facebook „Freunden“, unter denen sich viele Leute finden, die man nur vom Sehen her kennt, die frohe Botschaft mitzuteilen, dass das einsame Singledasein endlich überwunden hat. Diese haben dann ihrerseits die Möglichkeit, ihre Freude darüber mit dem „Like“ Button oder einem Kommentar zum Ausdruck zu bringen. Nicht selten ist dies ein erster Gradmesser, wie viel Erfolg der neuen Liaison zugestanden wird. Wenige „Likes“, sogar ein paar ironische Kommentare, das ist ein denkbar schlechter Start für eine Beziehung 2.0.

Auf der nächsten Seite: Warum Liebe auch virtuell gepfelgt werden muss und wie Facebook zum Beziehungskiller wird.

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5 Kommentare

  1. Alter; das ist echt genial!
    Respekt

  2. Du triffst es ziemlich genau. Man kann heute nicht mehr mit jemanden zusammen sein ohne es nicht auf facebook bekannt zu geben. Macht man es nicht, heißt es immer ‘ist dir das peinlich?’…andereseits bin ich ja auch stolz so einen tollen Freund zu haben…also ich kann damit leben

  3. Wie wahr! Sehr guter Vergleich mit dem Megaphon! Ich musste mir das direkt bildlich vorstellen 😀 Ich persönlich finde es okay, den Beziehungsstatus preiszugeben, aber ich sehe das nicht so eng, dass das zeitgleich mit dem wirklichem Anfang einer Beziehung geschehen muss. Vielleicht einfach irgendwann, wenn es die engsten Freunde wissen. Aber wirklich guter Artikel!

  4. Ja der Artikel drückt es richtig aus! Hatten so einen Fall im Familienkreis. Mein Bruder hat sich verlobt und den Status gleich bei Facebook geändert. Unser Teil der Familie war auch eingeweiht. Doch der Teil der andere Teil eben nicht. Es kam wie es kommen mußte und der Teil der Familie von der Freundin erfuhr es nicht direkt von den Beteiligten sondern von einer Bekannten, die es bei Facebook gesehen hatte! Das Ende kann sich jeder vorstellen …… Mehr brauch ich glaub ich nciht zu sagen 🙁

  5. Die Geschichte mit dem Megafon ist eine tolle Idee! Und der Bezug sehr gut gelungen 🙂 Gefällt mir 😉

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