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Stirbt die Handschrift aus?

Wenn ein Plakat für ein Referat oder im Freundeskreis noch schnell eine Geburtstagskarte geschrieben werden muss, wird automatisch nach der Person mit der vermeintlich schönsten Handschrift gerufen. Eine schöne Handschrift ist nach wie vor ein Zeichen von Wertschätzung, dennoch fällt es Schülern immer schwerer, schön zu schreiben. Pädagogen schlagen deshalb nun Alarm.
Aus einer aktuellen Umfrage des Deutschen Lehrerverbandes geht hervor, dass 4 von 5 Lehrern der Meinung sind, dass sich die Handschrift ihrer Schüler verschlechtert hat. So sollen die Hälfte der Jungen und ein Drittel der Mädchen Probleme mit der Handschrift haben. Ein alarmierendes Ergebnis oder nur eine logische Konsequenz aus der Digitalisierung unserer Umwelt?

Die Lehrkräfte nennen neben der fortschreitende Digitalisierung auch andere mögliche Ursachen: So soll im Kindergarten die Feinmotorik der Kinder nicht ausreichend gefördert werden und auch die Schulpolitik, die der sprachlichen Bildung immer weniger Bedeutung beimisst, wird kritisiert. Aber auch das Elternhaus wird in die Verantwortung genommen: Zwei Drittel aller Lehrer glauben, dass zu Hause zu wenig geübt wird.

Wie funktioniert Schreiben lernen heutzutage eigentlich? Die Zeiten, in denen es Schönschreibhefte und Schwungübungen gab, sind längst vorbei. Alle Schüler lernen heutzutage zunächst das Schreiben in Druckschrift. Wie es danach weitergehen soll, ist allerdings nicht festgelegt, denn die Kultusministerien schreiben vor, dass die Schüler am Ende der vierten Klasse „mit einer gut lesbaren Handschrift flüssig schreiben“ sollen. Es bleibt also Ermessensache des jeweiligen Lehrers, welche Form der Schrift dann vermittelt wird. Häufig ist es die vereinfachte Ausgangsschrift oder Grundschrift, die die Schüler dazu bringen soll, die Druckbuchstaben zu verbinden und so eine eigene Handschrift zu entwickeln.

Aber fehlt es gerade den jungen Schülern nicht an erwachsenen Vorbildern? In der Arbeitswelt und auch im Privatleben wird dem handschriftlichen Schreiben kaum noch Bedeutung beigemessen. Es wird getippt, gesimst und gescrollt und die Kinder machen es ihren Eltern nach. Der Umgang mit der Tastatur erscheint für das tägliche Leben immer wichtiger zu werden. Und so hat sich PISA-Sieger Finnland auch dazu entschlossen, ab 2016 die Handschrift fast vollständig aus dem Lehrplan zu streichen.
Deutsche Bildungsexperten können über diese Pläne nur den Kopf schütteln. Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung, warnt: “Den Kindern darf unter dem Dach der Schule auf keinen Fall eine Beschränkung ihrer motorischen Fähigkeiten zugemutet werden.” Eine bessere Lesbarkeit, die nur technisch erzeugt würde, tauge nicht als Lernziel in der Schule, so Beckmann.
Schreibexperte Dr. Christian Marquardt betont, dass Schreiben zwar einerseits die Eingabe von Informationen sei, andererseits aber auch ein kognitiver und koordinativer Prozess, der weit über die reine Informationsverarbeitung hinausgehe. Wer die verbundene Handschrift aus dem Unterricht verbannen wolle, “der verzichtet auf die Entwicklung kognitiver und koordinativer Fähigkeiten bei den Schülern“, so der Schreibforscher.
Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, fürchtet sogar die „Atomisierung der Sprachkultur“. Doch ist die Abkehr von der Handschrift wirklich gleichzusetzen mit dem Untergang der humanistischen Bildung?

Wichtig ist natürlich, dass Kinder überhaupt weiterhin noch das Schreiben mit der Hand lernen. Beim Schreiben mit der Hand werden wichtige Regionen im Gehirn angeregt und die Feinmotorik verbessert sich. Das Aufgeschriebene bleibt so besser im Gedächtnis. Auch Lehrer bestätigen dies: So sehen nur knapp ein Prozent aller befragten Lehrer keinen Zusammenhang zwischen der Handschrift eines Schülers und seiner schulischen Leistung. Und auch für die Persönlichkeitsbildung spielt die Handschrift eine wichtige Rolle. Unsere Handschrift ist ein unverwechselbarer Teil unseres Ichs, ähnlich wie ein Fingerabdruck. Ganze Wissenschaften beschäftigen sich mit dem Zusammenhang zwischen Schrift und Charakter. Sie verrät, ob wir pragmatisch, kreativ, chaotisch oder auch verliebt sind. Oder wer von Euch hat noch nie ein Herzchen anstelle eines I-Punktes gemacht? Und ein handgeschriebener Brief ist inzwischen zu einer kostbaren Besonderheit geworden. Er ist eine persönliche Wertschätzung, denn er bedeutet vor allem „Ich nehme mir Zeit für dich“. Das Schreiben ist ein wichtiger Bestandteil unserer Kultur, das nicht leichtfertig der fortschreitenden Digitalisierung geopfert werden sollte.
Trotzdem sollte bei der Diskussion um Schleifen und Bögen aber nicht vergessen werden, dass eine korrekte Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung deutlich wichtiger sind. Es ist für die junge Generation zudem wichtig, einen vernünftigen und verantwortungsvollen Umgang mit Computern und dem Internet zu erlernen und wie man Informationen im Netz recherchiert. Denn am Ende zählt der Inhalt, nicht die Form.

Weitere Ergebnisse der Umfrage im Detail findet Ihr hier.

Titelbild Quelle: dotmatchbox / flickr (CC BY-SA 2.0)

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