Hinter vorgehaltener Hand
„Soll die Homo-Ehe die gleichen Rechte bekommen wie die traditionelle Ehe?“ – „Dazu sage ich in der Öffentlichkeit besser nichts.“
Über Politiker, die alles falsch machen würden und Bürger, die sich nicht mitteilen wollen.Irgendeine deutsche Seitengasse im Dezember 1936: Martin wird in die Ecke gedrängt „Du Unmensch!“ Knüppel schlagen auf ihn ein. „Die Zunge soll dir im Hals stecken bleiben, du Widerling!“ Martin sieht nichts mehr, er hört nichts mehr, er spürt nichts mehr. Ob es Thomas wohl gut geht? Ob seine Liebe zu Martin ihn wohl auch das Leben kostet? 13 Jahre später „sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich.“ In Artikel 3 des Grundgesetzes wurde Martin die gleiche Würde zugesprochen wie einem Heterosexuellen. Würde er leben, so müsste er auch die gleichen Rechte haben. Eigentlich.
Heute debattiert der Bundestag immer noch rege darüber, wem welche Rechte zugesichert werden. Heute debattiert der Bundestag immer noch darüber, ob eine homosexuelle Partnerschaft gleichgestellt werden soll mit einer traditionellen Ehe, ob die Beziehung von Martin und Thomas genauso viel Respekt verdient, wie eine Beziehung zwischen Mann und Frau. Fast 20 Jahre nachdem im Strafgesetzbuch der Paragraph 175, der sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe stellte, gestrichen wurde, hält die Union an dem fest, wofür sie steht: Sie will weiterhin die traditionelle Familie fördern, die Ehe zwischen Mann und Frau. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bekennt sich zu parteiinternen Interessen: Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften sollen den traditionellen steuerlich nicht gleichgestellt werden. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erhebt seine Stimme gegen die der Kanzlerin und sagte in einem Interview mit dem Tagesspiegel, dass die CDU veränderte Realitäten zur Kenntnis nehmen müsse. Eine schnelle Einigung hinsichtlich Ehe- sowie Steuer- und Adoptionsrecht von Homosexuellen fordert die Koalitionspartei. Die Opposition verweist auf das Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht habe deutlich gemacht, dass eine Ausgrenzung homosexueller Partnerschaften mit ihm „nicht vereinbar ist“, so Monika Heinold (Grüne), Finanzministerin von Schleswig-Holstein.
Jüngst hat auch Ole von Beust (CDU), Hamburgs ehemaliger Bürgermeister, seine Partei kritisiert. Langfristige Partnerschaften seien im Grunde genommen konservativ. Der bekennende Homosexuelle fürchtet den Stimmenverlust in Großstädten. Besteht diese Gefahr auch auf dem Land?
Beim Generalanzeiger meldeten sich einige Menschen zu Wort. Brigitte Simon (57) aus Westrhauderfehn beklagt die überholte Denkweise der Union. „Die Gesellschaft muss mit dem Wandel der Zeit gehen. Jahrhunderte lang wurden Homosexuelle diskriminiert. Ihnen muss endlich das zugesichert werden, was ihnen zusteht: die gleichen Rechte. Da sollte auch beim Heiraten kein Unterschied gemacht werden.“ Die 45-jährige Pflegepädagogin Claudia Doyen beruft sich auf das Adoptionsrecht: „Homosexuelle sind vollwertige Menschen. Weshalb sollte man da den Unterschied machen? Entscheidend ist, dass die Kinder gut aufgehoben sind.“ Der Ihrhover Informatik-Kaufmann Johannes Körse (54) meint: „Homosexuelle haben die gleichen Pflichten wie Heterosexuelle, also sollten ihnen auch die gleichen Rechte zugesprochen werden.“ Mutter Nicole Plümer (35) erwartet bereits ihr zweites Kind. „Der Kinderwunsch jeden Paares sollte akzeptiert werden. Die Gesellschaft muss anfangen, mehr Toleranz an den Tag zu legen. Es sind eben nicht alle Menschen gleich. Sieht man das endlich ein, lösen sich viele Probleme ganz von allein.“ (der GA berichtete am 14. März)
Einige Aussagen glichen einem anderen Wortlaut: „Dazu sage ich nichts.“ Auf diese Antwort muss sich jeder Journalist gefasst machen, wenn er sich mit Kuli und Notizblock auf die Pirsch in den Fehntjer Pflastersteinurwald begibt. „Was?! Haben die Ostfriesen denn gar keine Meinung?“, mag man sich fragen. Tatsächlich aber kommt diese Aussage meist von Männern, und zwar von Männern, die sehr wohl eine Meinung haben. Warum also wollen sie ihr keinen Nachdruck verleihen? Warum nicht mehr Leute mittels der Medien auf ihre Seite ziehen? Es heißt, nicht jeder Heini solle das Gesagte lesen und sich das Maul über den Urheber zerreißen. Und genau da liegt der Knackpunkt: Eingestandene Ostfriesen mit Leib bei und Seele in sich scheren sich mehr darum, dass sich der alte Nachbar ja keinen Ärger aus ihrer Meinung machen werde, als dass die Meinung Zuspruch fände und Einfluss auf die Regierung nähme.
Neben diesen energischen Medienscheuern gibt es auch noch andere – die schüchternen. Sie sprechen sich aus, teilen ihre Überzeugung mit, treten aber den Rückzug an, sobald es gilt, ihr Identität preiszugeben. Sie wollen ihre Aussage nicht mit Namen und Foto in der Zeitung sehen. Dann soll sie lieber niemand kennen – ihre Meinung. Setzt schon ein natürlicher Schutzmechanismus ein, sobald es gilt, sich zu outen? Will man der Masse lieber leise folgen, als für seine Meinung einzustehen? Riskiert man, dass niemand anders so denkt wie man selbst, dass die eigenen Interessen völlig außer Acht gelassen werden?
Das Ergebnis der Umfrage ist nicht repräsentativ, das Meinungsbild verfälscht. Im 17. Jahrhundert sagte der französische Komödiendichter Molière: „Wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.“ Lange haben unsere Vorfahren für die Demokratie gekämpft. Schade, dass die Bürger sie nun nicht zu nutzen wagen, denkt der Redakteur. Und so schreitet er traurig von dannen, mit vollgeschriebenen Blättern, aber ohne Fotos und ohne Namen. Welcher Leser traut schon anonymen Statements?