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Meine Leber kommt nicht in den Himmel

“Ich bin froh, dass es dich gibt. Weil ich starb, durftest du leben. Mein Tod war nicht ganz sinnlos.”

Würdest du deine Organe nach deinem Tod für andere Menschen zur Verfügung stellen?  Eine Frage, mit der sich jeder Mensch beschäftigen sollte – auch Du!

Vielleicht helfen dir die Denkansätze dieses Gesprächs, das wir mit der 40-jährigen Lebendspenderin Sabine Hungerland über ihre packende Geschichte und die moralischen Fragen geführt haben, mit denen sie sich auseinandersetzen musste.

Wie kam es dazu, dass du deinem Bruder einen Teil deiner Leber gespendet hast?

Bei einem Motorradunfall 1996 erlitt er schwere Verletzungen an der Leber, sodass er drei Jahre später ein neues Organ benötigte. Allerdings hatte er die seltene Blutgruppe A1 negativ, die nur 3% der Bevölkerung teilen. Hinzu kam, dass wir natürlich das bestmögliche Organ für ihn bekommen wollten. So entschlossen wir uns schließlich zu einer Lebendspende, denn laut Erfahrungsberichten hält sie durchschnittlich länger als eine Leichenspende.

Du warst die Lebendspenderin.

Richtig. Meine Schwester hatte sich auch untersuchen lassen, aber ich war aufgrund meiner Blutgruppe besser geeignet. Als ich mich gemeldet hatte, wurden eine Reihe psychologischer Tests durchgeführt, ob ich nicht beispielsweise durch Bestechung unter Druck stünde.

Hattest du denn gar keine Sorgen um deine eigene Gesundheit?

Die Transplantation barg ein höheres Risiko für mich als für meinen Bruder. Wir waren das 13. Paar, das transplantiert wurde. Es gab also noch kaum Erfahrungswerte. Der operierende Arzt hatte die Transplantationsmethode aus Chicago mit nach Deutschland gebracht. Als ich mich dafür entschied, habe ich gar nicht an mich selbst gedacht. Marcus zählte. Die Ärzte beteuerten, dass er ohne ein neues Organ keine drei Monate mehr zu leben hätte. Aber mein Bruder selbst hatte Angst um mich. Er wollte die Lebendspende nicht. Ich sagte ihm, dass ich mit dem Gedanken, ohne ihn leben zu müssen, nicht leben könne, wenn ich in der Lage war, seinen Tod zu verhindern. Aus Trotz drohte ich ihm an, in das zuständige Klinikum nach Essen zu gehen und einem anderen Menschen meine Leber zu spenden. Schließlich sah er sich gezwungen, mein Entscheidung – und meine Leber – zu akzeptieren.

Ich hatte so viel Hoffnung, dass mir die Angst, mir könne bei dem Eingriff etwas passieren, gar nicht in den Sinn kam.

Ich habe auch schon davon gehört, dass dieses „richtige Denken“ Berge versetzen kann. Bloß ist es nicht ganz leicht, sich selbst zweifelsfrei zu programmieren. Dann darf man nämlich nicht denken, ich will nicht, dass es regnet, sondern muss einem automatisch immer nur der Wunsch vorschweben, dass die Sonne scheint. Man soll in Gedanken keine Ängste und Zweifel, sondern Anliegen und Wünsche formulieren.

Genau. Ich bin der Meinung, dass Seele und Körper unmittelbar zusammenhängen. Ein positives Lebensgefühl hat geradlinigen Einfluss auf die Gesundheit. Wer keine Hoffnung hat, kann auch nicht genesen. Bei der Transplantation stellte sich heraus, dass ich allergisch auf Narkosemittel bin. Ich lag in stoischer Ruhe auf dem OP-Tisch, obgleich ich wusste, dass mir eine sehr hohe Dosis gespritzt worden war und dadurch die Möglichkeit bestand, dass ich nicht aufwachen würde.

Aber ich wachte auf. Schon während der OP.

Dabei spürte ich keinen Schmerz, bloß war ich wieder bei Bewusstsein. Mein Zustand wäre vergleichbar mit dem Stadium, wenn man betrunken ist und sich nicht mehr richtig artikulieren kann. Ich konnte vernehmen, wie der Arzt, der mir das Organ entnommen hatte, sich verabschiedete und einem anderen anordnete mich zuzunähen. Aber ich hatte keine Angst. Erst später im Aufwachraum geriet ich in Panik, und begann zu randalieren, weil mir niemand sagte, ob Marcus die Transplantation überstanden hatte oder gar gestorben war. Da ich an ein Beatmungsgerät angeschlossen war, konnte ich mein Anliegen nicht äußern. Ich kam erst wieder zur Ruhe, als ich Marcus mit eigenen Augen sehen durfte.

Häufige Fragen zum Thema Organspende

Warum ist es wichtig, sich für oder gegen Organ- und Gewebespende zu entscheiden?

In Deutschland wird man erst mit einer schriftlichen oder mündlichen Willenserklärung zur Organspenderin oder zum Organspender. Deswegen ist es wichtig, mit engen Freunden und Angehörigen über seine Entscheidung zu sprechen und einen Organspendeausweis bei sich zu tragen.

Hat man noch keine Entscheidung getroffen, werden im Todesfall die nächsten Angehörigen befragt. Diese müssen versuchen, in bestem Wissen den Willen der oder des Verstorbenen zu beachten. Damit sie in der akuten Situation Bescheid wissen, ist es wichtig, sich frühzeitig Gedanken über die Organ- und Gewebespende zu machen und darüber zu sprechen.

Welche Voraussetzungen müssen für eine Organ- und Gewebespende von Verstorbenen erfüllt sein?

Das ist im Transplantationsgesetz streng geregelt. Erstens muss der Hirntod der möglichen Spenderin oder des möglichen Spenders entsprechend den Richtlinien der Bundesärztekammern von zwei Ärztinnen oder Ärzten festgestellt worden sein. Zweitens muss die Einwilligung des verstorbenen Menschen in eine Organspende bekannt sein oder die Angehörigen müssen nach seinem mutmaßlichen Willen einer Organentnahme zustimmen.

Wer bekommt meine Organe und Gewebe?

Das kann im Voraus nicht gesagt werden. Es gibt viele Faktoren, die entscheiden, wer ein bestimmtes Organ bekommt. Dazu gehören Blutgruppe, Alter, Gewicht und die Gewebemerkmale. Je ähnlicher die Merkmale von Spenderin bzw. Spender und Empfängerin bzw. Empfänger sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass nur geringe Abstoßungsreaktionen auftreten. Bei sehr unterschiedlichen Gewebemerkmalen ist eine Abstoßung wahrscheinlicher. Die gemeinsame Warteliste des Verbundes von Eurotransplant, dem Belgien, Kroatien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich und Slowenien angeschlossen sind, erleichtert es, die optimalen Empfängerinnen und Empfänger zu ermitteln.

Weiß die Empfängerin oder der Empfänger des Organs, wer es gespendet hat?

Nein, die Spende ist anonym. Auch die Angehörigen der Spenderin oder des Spenders erfahren nicht, wer die Empfängerin oder der Empfänger des Organs ist. Auf Wunsch wird ihnen aber über die Deutsche Stiftung Organtransplantation mitgeteilt, ob die Transplantation erfolgreich verlaufen ist.

Ist es möglich, Organe und Gewebe zu spenden, wenn man noch am Leben ist?

In einzelnen Fällen kommt eine Spende von Organen oder Organteilen zu Lebzeiten in Frage. Das ist gilt für die Niere und – seltener – einen Teil der Leber. Eine gesunde Person kann mit nur einer Niere ein vollkommen normales Leben führen. Dennoch muss eine Lebendspende sehr sorgfältig abgewogen werden. Wie jede andere Operation stellt eine Organentnahme für den Spender ein medizinisches Risiko dar.

Wann kommt eine Lebendspende in Frage?

Auch dies ist durch das Transplantationsgesetz geregelt. Es erlaubt die Spende von Organen nur unter Verwandten ersten oder zweiten Grades, zum Beispiel Eltern und Geschwistern, unter Ehepartnern, Verlobten oder unter Menschen, die sich persönlich sehr nahe stehen. Eine Gutachterkommission prüft im Vorfeld, ob die Spende freiwillig erfolgt und keine finanziellen Interessen bestehen.

Woher bekommt man einen Organspendeausweis?

Hier oder beim Infotelefon Organspende unter der gebührenfreien Telefonnummer 0800 / 90 40 400.

Können Menschen unter 18 Jahren einen eigenen Organspendeausweis ausfüllen?

Ja, laut Transplantationsgesetz können Minderjährige ihre Bereitschaft zur Organ- und Gewebespende ab dem 16. Lebensjahr und ihren Widerspruch ab dem 14. Lebensjahr erklären. Eine Einwilligung der Eltern ist nicht notwendig.

Muss man sich untersuchen lassen, bevor man einen Organspendeausweis ausfüllt?

Nein, eine Untersuchung ist nicht notwendig und wäre zu diesem Zeitpunkt nicht sinnvoll, da sich der gesundheitliche Zustand eines Menschen fortwährend ändern kann.

Muss man den Spenderausweis ständig bei sich tragen?

Das ist sinnvoll, am besten beim Personalausweis. Wer das nicht möchte, sollte auf jeden Fall eine Person seines Vertrauens über seine Entscheidung informieren und sagen, wo der Organspendeausweis zu finden ist.

Kann man im Organspendeausweis bestimmte Organe und Gewebe von einer Spende ausschließen?

Ja, man hat fünf verschiedene Wahlmöglichkeiten im Organspendeausweis. So kann man der Organ- und Gewebespende generell zustimmen, einzelne Organe oder Gewebe von einer Spende ausschließen oder nur bestimmte Organe und Gewebe für eine Spende zur Verfügung stellen, die Organ- und Gewebespende generell ablehnen oder die Entscheidung auf eine Person seines Vertrauens übertragen.

Was passiert, wenn man seine Meinung zur Organ- und Gewebespende ändert?

Die geänderte Entscheidung kann in einem neuen Spenderausweis dokumentiert, der alte Ausweis vernichtet werden.

Quelle: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (bzga.de)

Es ist überhaupt bemerkenswert, wie furchtlos du dich auf diesen Eingriff eingelassen hast.

Im Nachhinein bin ich selbst erschrocken darüber. Aber es ist alles glatt gelaufen. Und hätte ich die ganze Zeit über gefürchtet, dass meine Leber nach dem Eingriff nicht nachwachsen würde, hätte ich ihr auch nicht die Gelegenheit dazu gegeben.

Aber das hast du. Doch war dies sicherlich nicht immer ganz angenehm, oder?

Du hast Recht. Ich bin kerngesund. Aber bei dem Eingriff waren unzählige Nervenstränge durchtrennt worden. Die Art des Schmerzes, mit dem ich unmittelbar nach der Transplantation konfrontiert wurde, war neu für mich – und unerträglich.

Ich gehe davon aus, dass dir noch eine Narbe von der Operation geblieben ist. Was denkst du, wenn du sie siehst?

Sie ist groß und fällt direkt ins Auge, aber sie stört mich nicht. Ich fühle mich auch nicht verunstaltet oder schäme mich bei Sauna- und Schwimmbadbesuchen. Im Gegenteil: Ich bin stolz, dass sie meinen Körper ziert. So habe ich ein ganz besonderes Bindeglied zu meinem Bruder. Uns hat schon immer sehr viel geeint, aber die Transplantation intensivierte diese Enge noch.

Als mein Stück Leber in ihm versagte, habe ich mir die Narbe mit chinesischen Zeichen übertätowieren lassen, allerdings nicht, um sie zu verdecken: Sie bedeuten „für immer und ewig.“

Ich vermisse Marcus, aber ich kann nicht sagen, dass mein Leben ohne ihn nicht mehr lebenswert ist. Es ist nur anders.

Wenn ich mich an ihn erinnere, lächle ich mit dem einen und weine mit dem anderen Auge.

Wie waren die zehn Jahre nach der Transplantation? Hattest du „Herzschmerz“, als du ihn sahst und wusstest, das Organ könnte jeden Moment aussetzen?

Sabine ist Einrichtungsleiterin und Geschäftsführerin von einem Pflegeheim und Pflegedienst. Ursprünglich ist sie qualifiziert als Krankenschwester und Altenpflegerin.

Es war schön, seine Zeit verlängert zu haben. Marcus lebte sein Leben, aber er hatte auch zu leiden. Er musste ein Medikament gegen Abstoßung nehmen und lag oft wegen Komplikationen im Krankenhaus (exklusive Kontrolluntersuchungen). Es war eben nicht seine eigene Leber. Man darf nie die Erwartungshaltung haben, dass sich ein Ziel vollkommen erfüllt. Marcus Zeit war begrenzt, aber ich packte ihn nicht in Watte. Wir stritten auch bei Gelegenheit.

Zehn Jahre später versagte seine Leber.

Ja, und er bekam eine Leichenspende, ehe er zwei Jahren später im April 2011 starb. Wir könnten klagen, wie ungerecht das doch alles sei, und dass schon die erste Transplantation umsonst gewesen wäre, aber wir versuchen uns zu sagen: Viele erreichen das, was Marcus nach seinem Motorradunfall erreicht hat, lange nicht; manche sterben sofort. Er durfte noch 16 Jahre leben.

Habt ihr in den Jahren nach der Leichenspende Abschied von einander genommen?

Wir haben viel darüber gesprochen, was sein würde, wenn feststehe, dass er sterben würde. Markus hatte große Angst davor, in die Situation zu geraten, nicht mehr in der Lage zu sein, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen.

Ich verstand ihn und versprach, dass ich alles dafür tun würde, dass, wenn er nicht mehr leben wollte, er es nicht mehr tun müsse.

Mit Euthanasie, Sterbehilfe, ist dies nicht zu vergleichen, denn der Kranke entscheidet hierbei selbst, dass er nicht mehr leben will. Erweiterter Selbstmord ist in Deutschland nicht strafbar, das habe ich vorher bis ins kleinste recherchiert. Ich wäre also rechtlich nicht zur Verantwortung gezogen worden, wenn Markus zu mir gesagt hätte: „Dort in der Schublade liegt ein Päckchen. Leg es mir hier hin, bring ein Glas Wasser und geh, Sabine.“, und ich seiner Bitte nachgekommen wäre.

Ich bin heilfroh, dass es nicht dazu gekommen ist. Aber ganz sicher hätte er nie gesagt, er könne nicht mehr, wenn weiterzuleben nicht die reinste körperliche Qual gewesen wäre. Er hing zu sehr am Leben und wusste, dass wir an ihm hingen. Er wollte nur, dass ich ihm die Möglichkeit einräumte, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, und mein Versprechen beruhigte ihn, denn er vertraute mir.

Sicher wirst du oft dafür bewundert, dass du für deinen Bruder so viel riskiert hast. Du hast selbst einen Organspendeausweis, richtig?

Ja, aber Organspende stößt nicht überall auf positive Resonanz. Vereinzelte unserer Familienangehöriger kritisierten unser Handeln frei nach dem Motto: Wie könnt ihr dem Schöpfer bloß in sein Werk pfuschen?! Ich vertrete die Ansicht, dass er die Menschen nicht dazu gebracht hätte, auf die Idee zu kommen, wenn er etwas an Organspende auszusetzen hätte.

Marcus war nach der Transplantation doch mit Sicherheit immer noch derselbe Mensch. Medizin verpfuscht Gottes Werk nicht, sie reformiert es nur.

Natürlich, außerdem habe ich aus reiner Geschwisterliebe gehandelt.

Damit bist du auch nur einer christlichen Maxime nachgegangen: Nächstenliebe.

Ich meine, dass alles, was man aus Überzeugung tut, nicht falsch sein kann. Bevor man Organspender wird, sollte man sich in jedem Fall Zeit nehmen, darüber nachzudenken, was seine persönliche Überzeugung ist.

Auf gar keinen Fall nehme ich meine Leber mit in den Himmel. Sie ist irdisch und nicht an mein Ich gekettet.

Das Leben ist endlich, was soll ich nach dem Tod noch mit meiner Leber, die doch sowieso irgendwann zu

Marcus kurz nach der Transplantation

Staub zerfallen wird? Viel lieber habe ich Marcus die Chance eingeräumt, ein längeres Leben auf Erden zu genießen.

Ich denke, dass insgesamt der Irrglaube verbreitet ist, man würde zu schnell aufgegeben werden, wenn man Organspender ist.

Das ist Quatsch. Die Leber von der jungen Frau wurde erst dann bereitgestellt, als ihr Hirntod schon eingetreten war.

Die Klinik hatte die Empfängerlisten gar nicht direkt vorliegen. Erst als der behandelnde Arzt feststellte, dass er die Frau nicht mehr retten konnte, meldete er sie, eine potentielle Spenderin, bei Eurotransplant, wo auch Marcus als bedürftiger Empfänger registriert war.

Warum sind nur wenige Menschen so mutig wie du und Marcus Spenderin und legen sich einen Organspendeausweis zu?

Der letzte Schritt, sich mit dem Gedanken auseinander zu setzen, wir werden sterben, wird nur ungern getan. Hinzu kommt, dass sehr viele Menschen schlecht informiert sind. Unsere Regierung sieht nun endlich ein, dass diesem Problem entgegengekommen werden muss.

Wie hat Marcus sich gefühlt? Hat er Schuldgefühle, dass er mit dem Organ seiner toten Spenderin lebte?

Marcus kannte sie überhaupt nicht. Er wusste weder ihr Geschlecht, noch dass sie nur ein Jahr älter gewesen war als er. Ich denke, dass es falsch war, nur so wenige Informationen über sie herauszugeben, denn hätte Marcus gewusst, dass ihr Tod unvermeidbar war, hätte er sich weniger schuldig gefühlt und nicht sein ganzes Leben gefragt, warum und wie seine Spenderin gestorben war. Besonders vor der Lebendspende wollte er keine Leichenspende. Er hang dem Gedanken nach, dass er nur deshalb leben würde, weil ein anderer es nicht mehr täte.

Warum wendete sich das Blatt? Wieso akzeptierte er die Leichenspende im Nachhinein doch?

Es kam eine zweite Lebendspende infrage, die meiner Schwester, und er entschied sich für die Methode, bei der kein Risiko für einen weiteren Lebenden bestand. Er wusste, dass wir ihn nicht hätten sterben lassen.

Hätte man Marcus nicht noch retten können, als die Leber der jungen Frau versagte? Möglicherweise mit einer weiteren Leichenspende…

Auch in Deutschland mangelt es immer noch an Spenderorganen

Weil viele Ärzte nicht aufmerksam genug waren, traten in den Jahren nach dem Unfall häufig Behandlungsfehler auf, die wenn wir – seine Familie – sie nicht zu verhindern gewusst hätten, schon viel früher zu seinem Tod geführt hätten. Am Ende stellten die Ärzte eine falsche, aber für uns plausible Diagnose und Marcus starb. Wahrscheinlich sollte es dann aber auch so kommen. Ohne, dass es jemand verhinderte. Weil seine Zeit gekommen war.

Bemerkenswert, dass du innerhalb dieser kurzen Zeit schon gelernt hast, mit seinem Tod umzugehen, ihn beinahe zu akzeptieren.

Vor diesem Wunder, dass mein Bruder nach dem Unfall weiterleben durfte, und hinterher waren wir dem Glück nie näher. Ich weiß nicht, ob du es kennst, aber es gibt in einem Lied von Reinhard Mey eine Textzeile, die die Situation punktgenau beschreiben kann:

„…nie wieder so arglos, nie mehr so naiv und nie als er ging mehr ein Schnitt je so tief. Ich war wie von Sinnen und ich war sterbenskrank, doch ich lernte verlieren und den aufrechten Gang.“

Marcus hat einen großen Teil dazu beigetragen, dass ich lieben, leiden und verzeihen kann. Nicht jede große Liebe braucht auch ein Happy End.

Bei diesen Worten verschlägt es einem die Sprache. Danke, dass du uns einen derart tiefen und persönlichen Einblick in die Geschichte deines Bruders gewährt hast.

 

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