Missbrauch in der Pflege – Wenn Wehrlose misshandelt werden
Missbrauch tritt in vielen Facetten auf – seelisch, körperlich und sexuell. Besonders tragisch ist es, wenn die Opfer wehrlos sind wie z. B. Kinder. Aber auch alte Menschen werden in Pflegeeinrichtungen immer wieder zum Ziel von Übergriffen. Aus Angst und Scham sprechen nur wenige über ihr Schicksal.
Ab wann spricht man von Missbrauch?
Während der generelle Fokus dieses Artikels auf Vorkommnissen in der Pflege liegt, ist es jedoch gerade hierbei wichtig zu wissen, ab welchem Punkt Handlungen unter Missbrauch gelten – besonders wenn ein Täter konfrontiert wird und oft genug versucht, die Grenzen zum Missbrauch auszuweiten zu seinem eigenen Vorteil.
An dem Wort „Missbrauch“ selbst erkennt man eigentlich schon, was es bedeutet: Jemanden auf eine unerlaubte, schädliche Art und Weise zu nutzen oder zu manipulieren, womit Täter meist ihre starken Machtgefühle befriedigen wollen. Man „miss-braucht“, benutzt also einen Menschen auf eine falsche Art und Weise.
Zu unterscheiden sind dabei drei unterschiedliche Bereiche eines Menschen, die von Tätern ausgenutzt werden; das seelische Wohl, den Körper oder die Sexualität eines Menschen.
Also gibt es seelischen, körperlichen und sexuellen Missbrauch, die natürlich auch oft miteinander verwoben sind.
Jemanden regelmäßig zu manipulieren, zu beleidigen oder zu demütigen, auch in der Öffentlichkeit, ist eine Form des seelischen Missbrauchs – der Täter nutzt diese Möglichkeit, um sein Machtgefühl über das Opfer zu stärken. Genauso ist es seelischer Missbrauch, als Elternteil sein Kind absichtlich zu vernachlässigen.
Verprügelt jetzt ein Täter sein Opfer immer und immer wieder, bricht ihm möglicherweise sogar etwas, geht also körperlich vor, handelt es sich auch um körperlichen Missbrauch.
Eltern, die ihre Kinder schlagen, üben diese Form beispielsweise aus. Beim Mobbing geschieht dies sehr oft in Kombination mit dem seelischen Missbrauch.
Sexueller Missbrauch – in vielen Fällen auch sexuelle Gewalt genannt – beginnt schon bei dauerhaften anzüglichen Bemerkungen, die dem Gegenüber Unwohl bereiten. Allem, dem das Opfer des Missbrauchs nicht ausschließlich aus freiem Willen zugestimmt hat oder jegliche sexuelle Handlungen an Menschen, die aufgrund von Krankheiten oder anderen Einschränkungen nicht klar zustimmen können, gilt als sexueller Missbrauch. Also auch schon das Anhalten mit dem Auto um jemanden anzupfeifen, Sexualisierung von Bildern im Internet, oder unangenehme sexuelle Kommentare, gehören zur sexuellen Gewalt.
Auch wenn Täter diese Grenzen gerne als verschwommen und nicht eindeutig darstellen wollen, jede Form des Missbrauchs lässt sich klar benennen und abgrenzen. Auch Leute, die Dinge sagen wie „Aber das ist doch gar nicht so schlimm“ haben diese Grenzen einzuhalten.
Missbrauch in der Pflege
„Sexualisierte Gewalt meint jede sexuelle Handlung die an oder vor einem schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen entweder gegen deren/dessen Willen vorgenommen wird oder der die Person aufgrund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann.“
Diese Definition der „Augen auf!“-Organisation, die besonders in Altenheimen Präventionsveranstaltungen zu diesem Thema durchführt , fokussiert auf die Formen von sexuellem Missbrauch, die man dort auffinden kann.
„Befriedigung der Machtausübungen“ ist nach ihnen und vielen anderen Fachleuten, die sich mit diesem Thema beschäftigen, das am meisten gegebene Motiv der Täter.
Besonders in der Altenpflege besitzen die Pflegekräfte schon eine gewisse „Stellung über den Patienten“, sind also autoritär gesehen höher gestellt. Sie haben aber die Vorschrift, diese Position nicht auszunutzen, sondern die Pflegebedürftigen zu schützen und ihnen das Leben in den Heimen lebenswert zu machen.
Einrichtungen wie Altenheime haben immerhin zu ermöglichen, dass die dort Lebenden sowohl ein weitgehend unabhängiges und selbstbestimmtes Leben führen können und in ihrer sexuellen Identität geachtet werden, als auch körperlich, seelisch und in ihrer Privats- und Intimsphäre geschützt werden.
Jedoch können diese Einrichtungen nichts tun, wenn die Täter unter den Pflegern es schaffen, wie oft auch bei sexuellem Missbrauch außerhalb diesen Bereiches, Zeugen oder das Opfer selber einzuschüchtern und so dazu zu zwingen, nichts zu sagen.
Gerade weil die Gesellschaft das Bild von einer „Asexualität im Alter“ verinnerlicht hat, können sich viele sexuelle Handlungen und Missbrauch an älteren Menschen gar nicht mehr vorstellen. Dabei vergessen sie jedoch, dass, selbst wenn von den Pflegebedürftigen keine richtige Sexualität mehr kommt, sexueller Missbrauch nicht auf der Bereitschaft der anderen Partei basiert, obwohl es eigentlich klar sein sollte.
Besonders beeinträchtigt wird die Sicht auf solche Straftaten auch von der schwindenden Attraktivität einer älteren Person, nach dem Motto „niemand würde diese Leute noch anfassen wollen“, so makaber es auch klingen mag. Jedoch geht es sexuellen Straftätern besonders in diesen Situationen nicht darum, dass sie das Opfer attraktiv finden, sondern dass sie eine Möglichkeit haben, die bereits genannte Gier nach Machtgefühlen auszuüben und damit davonzukommen.
So trauen sich die Opfer sexueller Gewalt in Altenheimen meist überhaupt nicht, etwas zu sagen, weil Sexualität verbunden mit hohem Alter so stigmatisiert wird, dass es ihnen das Gefühl gibt, es würde ihnen eh keiner zuhören oder glauben. Die gesellschaftliche Sicht bietet dem Täter hier noch eine weitere Möglichkeit neben dem Einschüchtern, mit diesen schrecklichen Taten davonzukommen.
Die (berechtigte) Verschärfung von Missbrauchsgrenzen in der Pflege
In der Pflege kommt beim sexuellen Missbrauch eine Art „Graubereich“ dazu, da Handlungen, die zu sexuellem Missbrauch zählen könnten, beim Pflegen unabsichtlich passieren können und deswegen nicht zwingend strafbar sind. Diese Handlungen nennt man die „Grenzverletzungen“.
Sie sind meist einmalige, unbeabsichtigte Taten, die meist darauf basieren, dass Pflegekräfte nicht ordentlich genug eingewiesen wurden oder sie zeitweise ihre Professionalität vergessen, dass sie nicht so persönlich nah zu der Person stehen. Beispiele für diese Grenzverletzungen sind ein respektloser Umgangston, Missachtung persönlicher Grenzen, wie beispielweise eine Umarmung zum Trost, eigentlich gut gemeint, was aber der anderen Person aus ihrer Sicht zu nahe tritt. Außerdem das bereits erwähnte Vergessen der Professionalität gegenüber den Bewohnern oder Missachtung der Intimsphäre, wenn man zum Beispiel nicht gesagt bekommen hat, dass es für die Person nicht okay ist, wenn der Intimbereich vor dem Zimmernachbarn gepflegt wird.
Bereits diese Grenzverletzungen können von Kollegen der Pflegekraft angebracht werden, welche dann auch von der Heimleitung Konsequenzen spüren sollte. Strafbar ist dieses jedoch nicht, weil in der Regel keine böse Intention hinter dieser Art von Grenzverletzungen steckte.
Leider gibt es in Altenheimen nun mal nicht nur Grenzverletzungen, sondern auch richtige, strafbare sexuelle Übergriffe. Diese sind soweit unterschiedlich, da sie meist geplant sind und sich über alle bekannten Normen und Standards sowie jegliche Art von Widerstand seitens der Bewohner hinwegsetzen. Hierzu gehören dann Dinge, die auch generell als sexueller Missbrauch gelten; Unangemessene Berührungen von Intimbereichen, besonders eben bei der Intimpflege, Sexualisierung der Person, Missachtung von kulturellen Gewohnheiten, was die Körperpflege angeht, sowie auch das wiederholte Übertreten der Grenze zwischen Professionalität und einer Nähe, die sie nicht aufbauen dürfen.
Diese Handlungen werden von den Tätern meist wochenlang geplant, in dem sie „Grooming“ betreiben, also alles was möglich ist, über das Opfer herauszufinden und zu erarbeiten, wann, wo und wie man die Tat am besten begehen könnte.
Nach dem Ereignis wird es schwierig für die Betroffenen. Durch gezielte Manipulationen seitens des Täters und durch das Wissen, dass niemand ihnen glauben würde, entsteht oft eine große Scham über die Tat. Da der Täter oft eine enge Bindung zum Opfer aufgebaut hat, wird die Tat auch deshalb oft verschwiegen, weil das Opfer Verlustängste hat und die sonst als positiv empfundene Bindung und Zuwendung nicht verlieren will. Natürlich gibt es auch Fälle, in denen Betroffenen physisch nicht in der Lage sind über die Tat zu sprechen.
Es braucht also jemanden, dem sich Betroffenen mit ihren Gefühlen anvertrauen können, zum Beispiel eine zweite Pflegekraft und die Möglichkeit, sich physisch und psychisch irgendwie auszudrücken, um über die Übergriffe zu sprechen. Selbst wenn sie dies tun, kommt es teils nicht einmal dazu, dass der Täter bestraft oder gar herausgeworfen wird, da es generell zu wenige Pflegekräfte und zu viele Pflegebedürftige gibt, „um diese Person zu entbehren“. Für die Betroffenen ist dies ein großes Problem, da sie permanent weiteren Begegnungen mit dem Täter ausgesetzt sind.
Was soll man denn tun, wenn man die Vermutung hat, ein Pflegebedürftiger sei misshandelt worden?
Wichtig ist zunächst, besonnen zu handeln und die Ruhe zu bewahren. Aufgebracht zu dem mutmaßlichen Täter zu laufen und ihn öffentlich zur Rede zu stellen, würde die Situation meist nur noch verschlimmern, weil man so das Opfer direkt „entblößt“, da so offensichtlich wird, dass es die Tat „verraten“ hat. Man muss zunächst Hinweise wahrnehmen und dokumentieren, damit man genug gegen die Person in der Hand hat, am besten direkt ausgestattet mit Datum und Uhrzeit, um die Frequenz dieser Taten wahrzunehmen. Wenn man diesen Schritt für sich ausreichend gegangen ist, muss man so bald wie möglich mit der Leitung der Ebene, auf der man sich befindet, unter vier Augen sprechen und eine Hilfsorganisation einschalten, möglichst hinter dem Rücken des Täters, bis er aus seinem Dienst entfernt werden kann
Wenn das Opfer es sich wünscht, dann soll man für sie/ihn da sein und die Unterstützung geben, die sie/er gebrauchen kann. Besonders wichtig ist, ihr/ihm klarzumachen, dass man auf ihrer/seiner Seite steht und sie/er nicht mehr alleine in dieser ganzen Sache ist.
Wie kann man dem vorbeugen?
Ganz wichtig ist es, in der Gesellschaft die Aufmerksamkeit darauf zu richten, dass Taten wie diese begangen werden, und das nicht selten. Es gibt kaum genaue Zahlen, da viele eben nicht dokumentiert werden, aber viele Pflegekräfte haben bereits angegeben, solche Überbegriffe mitbekommen zu haben. Die Stigmatisierung, die für die Opfer immer noch existiert, sollte ebenfalls gebrochen werden, damit man sich mehr damit beschäftigen kann, wie man den Leuten hilft und sie beschützt.
Dafür wäre es sinnvoll wenn man gerade Präventionsveranstaltungen wie solche, die die „Augen auf!“-Organisation an manchen Altenheimen bereits gehalten hat, als Pflichtprogramm einführt, damit zumindest die meisten wissen, wie sie Signale erkennen, dass einer der Bewohner missbraucht wurde und wie man damit umgeht.
Es wird ein langer Weg sein, aber es besteht die Hoffnung, das zusammen mit der anfangenden Entstigmatisierung von sexuellen Übergriffen auch diese dunkle Seite der Pflege mehr aufgedeckt wird als zuvor.