Titanic – Ein Mythos, der niemals untergeht
In der Nacht vom 14. auf den 15. April 1912, verloren 1517 Menschen im eisigen Atlantik ihr Leben. Sie alle waren Passagiere der Titanic. Kein anderes Schiffsunglück auf der Welt zog die Menschen seitdem so sehr in den Bann, keine Tragödie zur See wurde so oft verfilmt, nacherzählt und besungen. Doch was macht diese Katastrophe so besonders, wie entstand er, der “Mythos Titanic”?
Titanic – Inbegriff des menschlichen Größenwahns
Der Mythos Titanic setzt sich, wie das Schiff inzwischen selbst, aus vielen kleinen Puzzleteilen zusammen. Die Titanic galt in ihrer Zeit als das technisch Beste, was die Menschheit zu bieten hatte. Sie war das bis dato größte Schiff ihrer Zeit, aus solidem Stahl gefertigt und nicht nur ihre Erbauer hielten sie für unsinkbar. Man glaubte, mit diesem Schiff die Naturgewalten der Meere endgültig bezwingen zu können und drückte diese Größe und scheinbare Überlegenheit nicht zuletzt auch mit dem Namen “Titanic” aus.
Die Schwesterschiffe der Titanic, die auch von der britischen Reederei White Star Line gebaut worden waren, trugen die ebenfalls nicht unbescheidenen Namen “Olympic” und “Gigantic”, wobei letzteres nach dem Untergang der Titanic in “Britannica” umbenannt wurde. Kein anderer Name verkörpert seitdem die menschliche Hybris so sehr wie “Titanic”. Dabei erscheint bei dieser Namensgebung der Untergang fast vorprogrammiert zu sein, denn schließlich waren die Titanen die Kinder des Uranos und erhoben sich in einem Anfall von Übermut gegen Zeus, den Herrscher des Olymps. Diese wurden jedoch von ihm in einen gewaltigen Abgrund, den Tartaros, gestürzt. So geschah, was kommen musste: Diesem realgewordenen Menschheitstraum sollten nur klägliche 4 Tage auf See vergönnt sein, bis er auf seiner Jungfernfahrt von einem simplen Klumpen Eis für immer versenkt wurde.
Ein Unglück und seine prominenten Opfer
Auch die Passagiere der Titanic spielten bei der Legendenbildung eine wesentliche Rolle, denn schließlich kamen vier der reichsten Männer der Welt beim Untergang ums Leben. John Jacob Astor IV hatte als Hotelier, Immobilientycoon, Schriftsteller und Erfinder ein gewaltiges Vermögen angehäuft und war auf der letzten Etappe einer langen Flitterreise mit seiner gerade mal 18-jährigen Frau Madeleine. Die Katastrophe soll Astor wie ein echter Gentleman genommen haben. Nachdem er seiner schwangeren Frau in ein Rettungsboot geholfen hatte, blieb er auf dem Schiff zurück. Als das Schiff mit dem Eisberg kollidierte, soll er gesagt haben: “Ja, ich habe Eis bestellt. Aber das ist wirklich lächerlich”. Seine Leiche konnte einige Tage später geborgen werden. Wahrscheinlich wurde er von einem Schiffsschornstein erschlagen.
Ähnlich galant soll auch Benjamin Guggenheim, ein amerikanischer Großindustrieller, dem Tod ins Auge geblickt haben. Nachdem er seine französische Geliebte Léontine Aubart in einem Rettungsboot untergebracht hatte, soll er sich gemeinsam mit seinem Butler seine beste Abendkleidung angelegt und zu einem Crew-Mitglied gesagt haben: „Wir sind angemessen gekleidet und bereit, wie Gentlemen unterzugehen“.
Der ebenfalls an Bord befindliche Eisenbahnmanager Charles Hays hatte am Abend des 14. April fast eine prophetisch anmutende Vorahnung, als er den Rausch nach einer immer höheren Geschwindigkeit beim Reisen kritisierte: “Die Zeit wird bald kommen, wo dies zur größten und schlimmsten aller Katastrophen auf See führen wird”. Als die Katastrophe tatsächlich wenig später einsetzte, schätze Hays die Gefahr jedoch völlig falsch ein: “Dieses Schiff hält sich noch acht Stunden”, soll er anderen Passagieren in dieser Nacht gesagt haben. Seine Frau Clara konnte sich retten, er selber kam um.
Gemeinsam in dieser Nacht starb das Ehepaar Ida und Isidor Straus, die mit Kaufhäusern ein Millionenvermögen erwirtschaftet hatten. Als Ida bereits in einem Rettungsboot stand, kehrte sie plötzlich mit den Worten um: “Wohin Du gehst, da gehe ich auch hin.” Gemeinsam sollen sie eng umschlungen an der Reling gestanden haben, als das Schiff in den Fluten des Atlantiks versank. Isidors Leiche konnte geborgen werden, Idas nicht.
Mit dem Untergang der Titanic versanken die absoluten Promis dieser Zeit, das Who’s Who Großbritanniens und Amerikas. Die Tragödie der Titanic wurde das erste globale Medienereignis, die Sensationspresse hatte die Story des Jahrhunderts und überschlug sich Woche für Woche mit immer neuen Berichten und Anekdoten rund um den Untergang des Luxusliners. Dass der Großteil dieser Geschichten oft nur reine Phantasiegebilde von Redakteuren oder Überlebenden waren, störte die wenigsten Leser, trug aber wesentlich zur Legendenbildung der Titanic bei. Begierig wurde alles verschlungen, was im Zusammenhang mit der größten Katastrophe der zivilen Schifffahrt in Verbindung stand und das Interesse reißt bis heute nicht ab.
Kein Mythos ohne Prophezeiungen
Das i-Tüpfelchen für jeden Mythos ist ein böses Omen, eine Vorahnung des scheinbar Unvermeidlichen. Bei der Titanic gab es gleich zwei Omen, die sogar dokumentiert und nachweisbar sind.
Der englische Journalist W.T. Stead, selber Passagier der Titanic, beschrieb in der Zeitung “Pall Mall Gazette” in einem Artikel mit dem Titel “Vom Untergang eines Dampfschiffes im Atlantik” Szenen eines Schiffsuntergangs, bei dem die Passagiere verzweifelt um die wenigen Plätze in den Rettungsbooten kämpften, bis schließlich der Kapitän wütend denjenigen drohte, die Frauen und Kinder nicht zuerst in die Rettungsboote ließen. 1892, 20 Jahre vor dem Titanic Unglück, beschrieb er in seinem Werk “From the old world to the new” erneut eine Schiffstragödie, die von einer Wahrsagerin prophezeit wird und bei der ein Schiff im Atlantik von einem Eisberg versenkt wird. Die Geschichte spielt auf der „Majestic“, einem Schiff der White Star Line, für die auch später die Titanic fuhr. Kapitän der „Majestic“ war der spätere Titanic Kapitän Edward John Smith. Trotz dieser Vorahnungen und der immer wieder geäußerten Angst auf See sterben zu müssen, ging Stead an Bord der Titanic. Als sie sank, soll Stead seelenruhig auf einem Stuhl gesessen haben und in einer Todesgewissheit nicht die kleinste Mühe unternommen haben, den Untergang zu überleben.
Für großes Aufsehen sorgte auch der Roman des amerikanischen Schriftstellers Morgan Robertson. Das Buch erzählt von einem als unsinkbar geltenden Schiff, dass sowohl von seiner Größe als auch von seiner technischen Ausstattung her viele Gemeinsamkeiten mit der Titanic aufweist. In einer Aprilnacht kollidiert es im Nordatlantik mit einem Eisberg, wird an der Steuerbordseite schwer beschädigt und versinkt. Da es zu wenig Rettungsboote gibt, ertrinken die meisten Passagiere. Das Schiff, das einer britischen Reederei gehört, trägt den Namen „Titan“. Der Roman erschien 1898 unter dem Titel “Titan. Eine Liebesgeschichte auf hoher See”, also 14 Jahre vor der realen Katastrophe. Bei so viel böser Vorahnung mag so manchem Titanic-Fan ein kalter Schauer über den Rücken laufen, Skeptiker verweisen darauf, dass sich Robertson von der 1880 ebenfalls mit einem Eisberg kollidierten und im Atlantik versunkenen Titania habe inspirieren lassen.
Auch Verschwörungstheoretiker durften sich in den vergangenen 100 Jahren an der Titanic austoben. Weit verbreitet ist dabei die These, dass der Untergang der Titanic ein gigantischer Versicherungsbetrug gewesen sei und in Wirklichkeit das durch ein britisches Kriegsschiff bereits beschädigte Schwesterschiff Olympic im Atlantik absichtlich versenkt worden sei. Dies konnte jedoch inzwischen durch geborgene Wrackteile der Titanic zweifelsfrei widerlegt werden.
Die Kasse klingelt auch nach 100 Jahren
Pünktlich zum 100. Jahrestag werden nun wieder etliche Dokumentationen und Bücher zur Katastrophe erscheinen, James Cameron wird die Titanic in 3D untergehen lassen, in einem B-Movie namens „Titanic 2“ geht sogar ein bau- und namensgleiches Schiff 100 Jahre später unter, der “National Geographic” veröffentlicht erstmalig hochauflösende Fotos vom Wrack und in Belfast eröffnet das größte Titanic Museum der Welt, das stolze 115 Mio. Euro gekostet hat und zu einem Besuchermagnet für Titanic Fans aus aller Welt werden soll. Jeder möchte in diesen Tagen ein Stück vom großen Titanic-Kuchen abbekommen und auch das mag ein Grund sein, warum der “Mythos Titanic” wohl noch lange nicht untergehen wird: Man kann mit ihm auch heute noch sehr viel Geld verdienen.
Hier könnt Ihr Euch noch ein Video einer Computersimulation von James Cameron anschauen, die nach den neusten Erkenntnissen rekonstruiert, wie die Titanic gesunken ist.