Piraten wie wir!
Die Nerdpolitiker der Piratenpartei kriegen guten Zulauf dieser Tage – dies zeigt auch die Wahl vom Sonntag in Schleswig-Holstein. Mehr als 8%, im Vergleich dazu waren es 2009 weniger als 2% im nördlichsten Bundesland Deutschlands. Doch wer sind die Piraten, wofür stehen sie und was reizt an ihnen so sehr?
Piraten wie wir, die können keine Schlacht verlier’n,
Piraten wie wir, die können niemals untergehen.
Piraten wie wir, die segeln Richtung gegen den Wind,
Ergeben sich nie, weil Träume unbesiegbar sind.
So lautet der Refrain des Songs „Piraten wie wir“ von Andrea Berg – und so könnte auch der Slogan der Piratenpartei lauten. Eine Partei, die kämpft, kämpft gegen das alte politische System, die eine Alternative darstellt. Eine Partei, die „Richtung gegen den Wind“ segelt, die die Grünen als neue Protestpartei ablöst. Eine Partei mit Idealen, Träumen, Illusionen.
Diese Partei soll neuen Schwung in die Politik bringen, die Bürger animieren, sich an der Gestaltung Deutschlands zu beteiligen, die Politikverdrossenheit bekämpfen. Doch so richtig ernst nehmen weder etablierte Parteien noch die Medien die Cyberseeräuber. Beachtlich war dies auch bezüglich des Einzugs der Piraten in den Berliner Landtag. Wochenlang beschrieben die Zeitungen und Fernsehsender, wie sich die Neulinge im abgekarterten Spiel der Großen zurecht fanden. Jetzt wird Kritik an den Piraten laut: Neulinge, planlos, unkoordiniert seien die Seeräuber. Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen sagte: „Was passiert, wenn auf personelle Schwäche inhaltliche Leere folgt, können wir nun bei den Piraten beobachten. Inhaltliche Debatten scheinen im eigenen Feedback zu ertrinken.“ [DER SPIEGEL, Nr. 13, 2012, S. 22] Damit spielt er sowohl auf die Personaldebatten bei den Piraten an, die jetzt mit der Wahl von Bernd Schlömer zum Bundesparteivorsitzenden ein Ende gefunden haben sollen, als auch auf die Tatsache, dass die Piraten zum Beispiel zu Fragen der Außenpolitik oder der Wirtschaft keine Antwort kennen.
Kürzlich erbrachte eine Umfrage den Piraten 12% – und das bundesweit. Innerhalb der letzten neun Monate stieg die Zahl der Piraten-Mitglieder von 12000 auf über 25000.
Obgleich die Piratenpartei gesellschaftlich weitestgehend akzeptiert wird, können sich doch nur 35% der Bevölkerung vorstellen, die Partei zu wählen, wie eine Umfrage des TNS Forschung vom 27./28. März 2012 ergibt. Die Bevölkerung steht der neuen Protestpartei ambivalent gegenüber: Einerseits fasziniert sie durch die alternativen Lösungen, durch die partielle Unkenntnis, durch das „Dazu wissen wir noch nichts.“, andererseits aber ist es schwer, sich vorzustellen, dass die Piraten mitspielen können im Poker um Macht und Geld, um Wählergunst und Wahlkampf. Was also zeichnet die Piratenpartei aus? Was sind ihre Ziele? Ist die Piratenpartei wirklich nur die Anti-Urheberrechtpartei oder ist sie die Lösung für Probleme, die aufgrund des Strukturwandels durch die zunehmende Verlagerung des gesellschaftlichen Lebens in das Internet hin zur Informationsgesellschaft entstehen?
Der wichtigste Programmpunkt der Piraten ist die Transparenz, die absolute Gläsernheit der Politik, die die Piraten betreiben wollen. Jede Sitzung, jede Diskussion, jedes parteiinterne Dokument soll online abrufbar sein. Die Parteibasis soll immer alles wissen. Sie soll immer alles im Blick haben, immer ihre Meinung kundtun können. Für diese Meinungsfreiheit sorgen Programme wie das berühmte „Liquid Feedback“, ein System, mit dem alle Piraten Gesetzesvorschläge einreichen können, über die dann – nach einer Online-Diskussion – abgestimmt werden kann. Mittel hierzu ist „Mumble“, ein Sprachkonferenzprogramm. Bürgerbeteiligung ist alles für die Piraten. Die Partei bezeichnet sich selbst als „Mitmachpartei“. Dies sei der Grund für die Attraktivität – auch und besonders bei der Jugend. Das Problem dabei ist die Gefahr der Verbreitung von radikalen Ideen. Radikale können ihre Ideen „sharen“ und das schadet der Partei.
Die Piraten möchten das alte System Politik revolutionieren und modernisieren. Das zeigt sich auch durch die Sprache der Seeräuber. Anstatt von „Vorstandsklausur“ zu reden, nennt man dies lieber „Kapitänstreffen“ oder „kleiner Hafen“, wie Aleks Lessmann, bayerischer Geschäftsführer der Piraten, gegenüber dem SPIEGEL mitteilte.
Außerdem ist die Partei gegen Vorratsdatenspeicherung, gegen ACTA, für absolute Freiheit – sowohl online als auch offline. Für die Aufhebung von Urheberrecht und sogar für die von Software-Patenten. Alles für das Kollektiv, alles durch das Kollektiv! Das oberste Ideal der Piratenpartei ist die Schwarmintelligenz. Und das, obwohl die Piratenpartei nichts mehr als einen Überwachungsstaat fürchtet. Des Weiteren solle ein bedingungsloses Grundeinkommen für jedermann geschaffen werden, der Ausspruch für die Legalisierung von Drogen brachte den Piraten Spott ein.
Ja, die neue Partei hat nicht nur innovative Lösungen, sondern auch innovative Probleme. Das sind beispielsweise die Tendenz zu ungenügend fundierter Diskussion in „Liquid Feedback“ oder die Kritik von Künstler an den Piraten. Die nämlich tadeln den Wunsch der Piraten, das Urheberrecht abzuschaffen. Logisch, ihre Gewinne sinken. Eine breite Front von Künstlern bildete sich gegen die Partei, nachdem der Musiker und Autor Sven Regener öffentlich die Piraten in diesem Punkt kritisierte. Schnell schlossen sich andere wie Autorin Julia Franck oder Musiker Jan Delay an.
Das fundamentalste Problem aber ist schon fast eine philosophische Fragestellung: Wird die Partei das System ändern oder ändert das System die Partei?
Je populärer die Piratenpartei nämlich wird, je mehr Zulauf sie bekommt, desto höher muss der Grad der Organisation werden,
desto mehr müssen sich die Parteifunktionären dem System anpassen, um überhaupt mitspielen zu können bei den Großen. Die Partei befindet sich in einem Dilemma: Mitspielen und Anpassung oder Andersartigkeit und Mobilisierung der Massen.
Joachim Paul, 54 und nordrhein-westfälischer Spitzenkandidat der Piraten, sagt dazu: „Professionalisierung heißt auch: Ich muss mich sorgenfrei um die Belange der Bürger kümmern können.“ [DER SPIEGEL, Nr. 15, 7.04.12, S. 27] Und das schließe eine gewisse Autonomie der Piratenspitze ein. Ein Widerspruch aus Mitsprache und Werten, aus Realität und Idealen.
Das heißt: Die Piraten segeln tatsächlich gegen den Wind, gegen den Strom der Main-Stream-Politiker, aber dadurch droht auch die Gefahr des Untergehens. Dennoch wird die Piratenpartei vermutlich 2013 in den Bundestag einziehen und die Politik verändern – wie auch immer. Mit frischem Wind segeln die Piraten in das muffige System der Alten.
In diesem aufschlussreichen Video erzählen Mitglieder der Piratenpartei, warum sie Pirat geworden sind:
Bis 2013 kann sich freilich auch viel ändern. Die FDP braucht nur voll auf die “Freiheit” zu pochen und schon könnte den Piraten nicht nur der Gegenwind sondern tatsächlich die See, die politische Landschaft selbst Probleme bereiten.