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Die Epidemie des Übergewichts

Fragt man Menschen nach ihren Vorsätzen für das neue Jahr, so hört man als Antwort sehr häufig “Abnehmen!”. Scheinbar hängt das Wohlbefinden einen Menschen sehr eng mit seinem Körpergewicht zusammen. Schon im Kindesalter kämpfen viele den erbitterten Kampf gegen die Kilos. Wir haben mit einer Expertin über die Ursachen, Folgen und die Bekämpfung von Übergewicht gesprochen.

Das Max-Rubner-Institut (Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel) veröffentlichte 2008 die zweite Nationale Verzehrstudie.

Laut dieser Studie sind rund 60 Prozent der Männer und 40 Prozent der Frauen in Deutschland übergewichtig, fast jeder fünfte Deutsche ist fettsüchtig (BMI 30 und darüber).

Je höher der Schulabschluss der Befragten war, desto niedriger lag der Body-Mass-Index (BMI). 35 Prozent der Frauen in den niedrigsten sozialen Schichten sind übergewichtig, in der laut Studie als „Oberschicht“ deklarierten Bevölkerung waren es nur zehn Prozent. Das gilt für Männer und Frauen gleichermaßen. Ledige hielten zudem eher ihr Normalgewicht als verheiratete, geschiedene oder verwitwete Gleichaltrige. Regional gab es hingegen kaum Schwankungen.

Das macht die Fettsucht (Adipositas) zu einer größeren Gefahr als das Rauchen. Mediziner bezeichnen diese Krankheit sogar schon als „Epidemie des Übergewichtes“.

Um mehr über Folgen, Risiken und Gründe für diese Krankheit zu erfahren haben wir mit Peggy Zottmann vom Adipositas-Zentrum Düsseldorf gesprochen. Sie ist hauptsächlich für die Vor- und Nachbereitung der chirurgischen Sprechstunde sowie der Adipositas-Ambulanz zuständig.

 

laurentinews.de: Was läuft bei der Ernährung eines Menschen alles schief, wenn er immer dicker wird?
Übergewicht und Adipositas sind nie ausschließlich auf eine falsche Ernährung beschränkt. Sofern keine Erkrankung vorliegt, die eine Adipositas verursacht (Schilddrüsenunterfunktion o. Ä.), ist eine Kombination aus Bewegungsmangel, einer ungünstigen Ernährungsweise und unvorteilhaften Verhaltensmustern (z.B. während der Mahlzeiten) die Ursache für das Übergewicht.

Bezogen auf die Ernährung sind es mitunter fettreiche bzw. hochkalorische Lebensmittel, die bevorzugt verzehrt werden (fettreiche Zubereitung, Fast Food). Der Verzehr von zu großen Portionen und/oder vielen kleinen Zwischenmahlzeiten bzw. Snacking kann ebenfalls ein Punkt der Fehlernährung sein. Häufig verlieren die betroffenen durch mangelnde Mahlzeitenstrukturen die eigentliche Menge aus den Augen. Es kommt auch vor, dass Stress, Trauer oder Frustration über das Essen kompensiert werden. Die Fehler, bei der Ernährung sind sehr individuell und sollten ebenso individuell betrachtet und korrigiert werden.

Statistiken zeigen, dass starkes Übergewicht mit geringerem Einkommen und geringerer Bildung verknüpft ist. Wie erklären Sie sich das?
Übergewicht ist in jeder sozialen Schicht zu finden. Das vermehrte Auftreten in den unteren sozialen Schichten hängt, meiner Meinung nach, mit dem Mangel an Ressourcen zusammen. Bildung kostet im Gegensatz zu Kalorien viel Geld. Viele Familien haben nicht die Möglichkeiten ihre Kinder entsprechend zu fördern. Häufig fehlen die Zeit und das Geld. In den Personenkreisen mit geringer Bildung und wenig finanziellen Mitteln sind die Schwerpunkte anders gelagert.

Würden sie das steigende Übergewicht in der Bevölkerung als gesellschaftliches Problem bezeichnen?
Ich sehe Übergewicht definitiv als gesellschaftliches Problem. Jeder zweite Erwachsene und jedes fünfte Kind in Deutschland ist übergewichtig. Die Kosten für die Behandlung des Übergewichts und dessen Begleiterkrankungen sind sehr hoch. Meiner Meinung nach sollte bereits in den Schulen ein höheres Maß an Präventionsarbeit und Gesundheitsförderung umgesetzt werden.

Was für eine Rolle spielen genetische Veranlagungen beim Übergewicht?
Die genetische Veranlagung ist definitiv ein Grund für die Entstehung von Übergewicht. Allerdings kann das nicht als alleinige Ursache gesehen werden. Bei der Entstehung von Übergewicht und Adipositas besteht immer ein Zusammenspiel von genetischen, sozialen und verhaltensspezifischen Faktoren.

Gibt es ein genetisch vorgegebenes Gefühl für die “richtige Ernährung”?
Ja und Nein. Wir haben angelegte Schutzmechanismen die vor allem bei Kleinkindern aktiv sind. So werden beispielsweise süße Lebensmittel als sehr positiv empfunden, weil sie instinktiv als energiereich erkannt werden, Bitter hingegen signalisiert Vorsicht vor möglichen Giftstoffen. Unser Körper ist nicht für die Fülle an Nahrungsmitteln ausgelegt. Bedenkt man die verhältnismäßig kurze Zeitspanne des großen Lebensmittelangebotes wird klar, dass hier die Instinkte aus den Zeiten des Mangels und der starken körperlichen Arbeit aktiv sind.

 

Es wird häufig vor zu schnellem Zu- und Abnehmen gewarnt. Hat die Natur diese Möglichkeit für Notzeiten nicht sogar vorgesehen?
Ja, die Speicherung von Energie in Form von Fett ist eine Reserve für Zeiten des Hungers. Was dem Menschen früher das Überleben gesichert hat wird heute zum Problem. Vor starken Gewichtsschwankungen wird gewarnt, weil diese den Organismus belasten und beiderseits Begleiterkrankungen verursachen können.

Wie entgeht man dem sogenannten Jo-Jo Effekt?
Dem Jo-Jo-Effekt entgeht man durch eine dauerhafte Lebensstiländerung und langsame Gewichtsreduktion. Diäten sind begrenzt und meist auch nicht lebenslang durchführbar, da sie Einschränkungen in der Energieaufnahme und der Lebensmittelauswahl beinhalten. Wer schafft es schon, sein Leben lang Kohlsuppe zu essen? Das ist jetzt ein extremes Bespiel, es gibt durchaus weniger einschränkende Diätformen die gute Erfolge erzielen, wenn sich allerdings die alten Gewohnheiten wieder einschleichen, kommt es zum Jo-Jo-Effekt. Wichtig ist, eine Kombination zu finden, mit der man sich wohl fühlt. Um dauerhaft und gesund abzunehmen ist Sport ebenso wichtig wie gesunde Ernährung.

Was raten Sie konkret Patienten mit leichtem Übergewicht?
Die Patienten sollten mehr Bewegung in den Tag einbauen, sofern das noch nicht der Fall ist. Es kann natürlich eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio sein, aber auch Spaziergänge bei denen man intensivere Phasen (schneller laufen) einbaut sind gut. Bezogen auf die Ernährung würde ich raten, auf den Fettgehalt der Lebensmittel und eine fettarme Zubereitung, mit hochwertigen Fetten (Raps- oder Olivenöl), zu achten. Light-Produkte müssen jedoch nicht verwendet werden. Fette können gespart werden, indem man z.B. keine Butter verwendet, wenn ein Brot mit Streichwurst oder Frischkäse gegessen wird. Vollkornprodukte sättigen gut und haben mehr Vitamine und Mineralstoffe als Produkte mit fein gemahlenem Mehl. Auch Gemüse ist ein guter Sattmacher mit vielen wichtigen Inhaltsstoffen und sollte mehr verzehrt werden.

Sie sagten vorhin, dass falsche Ernährung auch immer mit einem falschen Essverhalten zusammenhängt. Worauf sollte man da achten?
Eine Selbstbeobachtung ist wichtig. Wie esse ich? Ablenkungen beim Essen verhindern, dass das Sättigungsgefühl wirklich wahrgenommen wird. Man sollte sich Zeit nehmen und in Ruhe essen. Regelmäßige Mahlzeiten helfen dabei den Körper konstant mit Energie zu versorgen und verhindern, dass zu große Mengen auf einmal gegessen werden. Auch die Trinkmenge ist wichtig, oft wird Durst mit Hunger verwechselt. Also lieber einmal öfter zum Wasser greifen, bleibt das Hungergefühl länger bestehen, darf natürlich etwas gegessen werden. Süßigkeiten und Knabberzeug sind erlaubt! Dauerverbote verursachen Heißhunger und der ist kein guter Berater. Wichtig ist, sich nicht abends vor dem Fernseher eine ganze Tüte Chips auf den Tisch zu legen, sondern eine kleine Schüssel voll, die man bewusst genießt und nach der man aufhört.


Was ist gefährlich am Übergewicht im Kindesalter?
Gefährlich ist Übergewicht bei Kindern durch die Begleiterkrankungen. Bluthochdruck (Hypertonie) und Fettstoffwechselstörungen (Dislipidämie) sind keine Seltenheit. Die Kombination von zu hohen Blutfett-Werten und einem hohen Blutdruck verstärkt die Wahrscheinlichkeit der Arterienverkalkung (Arteriosklerose) im Erwachsenenalter. Auch steigt durch das Übergewicht das Risiko frühzeitig einen Altersdiabetes (Diabetes mellitus Typ 2) zu entwickeln. Zudem ist die Belastung der Gelenke natürlich stark erhöht, was einen entsprechend schnelleren Verschleiß zur Folge hat. Das Übergewicht hat ebenso Auswirkungen auf den Hormonhaushalt, was wiederum Einfluss auf die körperliche Entwicklung hat.

Gibt es neben den physischen Folgen noch weitere Probleme durch Übergewicht?
Neben den körperlichen Folgen gibt es eben auch soziale Einschränkungen, was Übergewicht als gesellschaftliches Problem klarer darstellt. Häufig findet eine strake Diskriminierung von Übergewichtigen statt, sei es unter Kindern oder Erwachsenen. Als übergewichtiger Mensch einen Job zu bekommen, selbst wenn man körperlich fit ist, stellt sich um einiges schwieriger dar als es bei Normalgewichtigen der Fall ist. Beleidigende Verhaltensweisen und Mobbing kommen nicht selten vor. In unserer Gesellschaft sind dicke Menschen mit Vorurteilen belegt. Ich denke, ein respektvoller Umgang und eine bessere Aufklärung würden schon einen Teil des Drucks von den betroffenen nehmen. Adipositas ist medizinisch als Krankheitsbild mit vielen verschiedenen Ursachen anerkannt, nur gesellschaftlich nach wie vor sehr negativ belegt.

Viele Menschen greifen heutzutage zu Tabletten um ihr Gewicht zu verringern, können diese wirklich eine mühsame Diät ersetzten?
Tabletten sind, ebenso wie Diäten, eine Hilfestellung mit begrenztem Zeitfenster. Sie können das Gewicht reduzieren, haben allerdings keinen langfristigen Erfolg, wenn keine Lebensstiländerung erfolgt.

Wann kann ein chirurgischer Eingriff sinnvoll sein und was ist bei diesen Methoden zu beachten?
Ab einem gewissen BMI-Wert kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der Patient eine Reduktion zum Normalgewicht durch konservative Maßnahmen erreicht. Wenn die Kombination von Ernährungsberatung, Bewegungstherapie und Verhaltensmodifikation keine bzw. zu geringe Erfolge erzielt, kann ein chirurgischer Eingriff eine Lösung darstellen.

Ein Magenband kann beim Abnehmen helfen. (Quelle: wikipedia/James P. Gray)

Ein Magenband kann beim Abnehmen helfen. (Quelle: wikipedia/James P. Gray)

Eine Methode ist die Magenverkleinerung (Schlauchmagen) dabei wird ein großer Teil des Magens abgetrennt, sodass ein kleiner (100 ml) Restmagen entsteht. Durch diese Methode ist die Essensmenge eingeschränkt, die Nährstoffaufnahme jedoch nicht. Eine weiteres Verfahren ist die Magenverkleinerung (25 ml) in Kombination mit der Verkürzung des Dünndarms (ca. 60 cm ausgeschaltet). Beim Magenbypass wird Einfluss auf die Menge der Nahrung und auf die Nährstoffaufnahme genommen. Diese beiden Methoden sind irreversibel, sie können also nicht rückgängig gemacht werden. Beim Magenband wird ein kleiner Vormagen (10 ml) gebildet, wobei der Zugang zum Hauptmagen durch das einstellbare Band verengt wird. Hierdurch wird ebenfalls die mögliche Portionsmenge stark eingeschränkt. Der Magenballon kann nach einem begrenztem Zeitraum wieder entfernt werden. Die Entfernung ist bei dem Magenband nicht vorgesehen, allerdings möglich.
Alle chirurgischen Maßnahmen sind ebenfalls nur Hilfestellungen. Der Magen ist ein Muskel, welcher durchaus wieder gedehnt werden kann. Auch hier müssen ungünstige Gewohnheiten geändert werden.

Ab welchem Stadium des Übergewichtes würden sie zu einer Operation raten?
Die Kriterien für eine mögliche Operation sind festgelegt und beginnen bei einem BMI von 40 kg/m² ohne Begleiterkrankungen (>35 kg/m² mit Begleiterkrankungen), wenn die konventionellen Maßnahmen ausgeschöpft wurden und nicht die medizinisch erwartete Gewichtsreduktion stattgefunden hat. Zudem sollte keine Essstörung vorliegen.

Wie lange dauert es bis man danach sein Wunschgewicht erreicht?
Das hängt stark von dem Anfangsgewicht ab. Ein Patient der mit 200 kg operiert wurde verliert natürlich schneller an Gewicht als jemand mit 130 kg. Im ersten Jahr nehmen die Patienten sehr viel ab, danach verlangsamt sich die Gewichtsreduktion. Nach ca. 1 1/2 Jahren stabilisier sich das Gewicht, dann ist auch meist das Wunschgewicht erreicht.

Gibt es eine Art Mindestalter ab dem diese Operationen durchgeführt werden dürfen?
Ein Mindestalter gibt es in diesem Sinne nicht. Bei Patienten die noch nicht volljährig sind wird natürlich noch viel intensiver geschaut, ob eine Operation sinnvoll ist. Das Wachstum sollte abgeschlossen sein, da sich die Körpergröße wiederum auf den BMI auswirkt.

Vielen Dank für das Interview!
Abschließend kann man sagen, dass Übergewicht und Adipositas, eine Art Nebenwirkung des Wohlstandes unserer Gesellschaft sind. In Europa ist ausreichend Nahrung zur Selbstverständlichkeit geworden. Es wird eher Etwas weggeschmissen als das Etwas fehlt. Aus diesem Grund lässt sich über Maßnahmen diskutieren, wie z.B. einen erhöhten Krankenversicherungsbeitrag für Adipositas Patienten. Kritiker stellen dieses damit gleich, dass ein Krebskranker seine Chemotherapie schließlich auch nicht selber bezahlen muss. Was fest steht ist, dass sich die Krankheit schnell verbreitet und nicht durch Impfungen oder Antibiotika bekämpft werden kann. Jeder Patient muss sich aus eigenem Willen dazu entscheiden, die Krankheit zu bekämpfen und nur dann kann diese Epidemie aufgehalten werden.

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