Zero Dark Thirty – Der Preis des Sieges
Oscar-Preiträgerin Kathryn Bigelow erzählt in ihrem Doku-Drama “Zero Dark Thirty” von der Jagd auf Osama bin Laden. Die zahlreichen Folterszenen sorgen nicht nur in den USA für hitzige Diskussionen. Der Film wird für jeden Zuschauer zu einer moralischen Herausforderung, denn er muss sich immer wieder hinterfragen: “Auf welcher Seite stehe ich eigentlich?”
Der Prolog des Films beginnt mit dem 11. September 2001. Doch Regisseurin Bigelow zeigt nicht die einstürzenden Twin Tower, die Leinwand bleibt schwarz. Zu hören sind nur die Tonbandaufnahmen von hilflosen Menschen, die aus dem brennenden World Trade Center telefonieren. Dann verstummen sie. Die Bilder vom 11. September kennt jeder nur zu gut, es ist die menschliche Dimension des Dramas, die den Zuschauer aufwühlt und vielleicht auch eine Begründung liefert für die Ereignisse, die folgen.
Die Geschichte des Films ist die jahrelange Jagd auf den al-Qaida Führer Osama bin Laden. Die Hauptfigur, Maya, ist eine junge Frau, die von der CIA direkt von der Highschool abgeworben wurde. Sie wird nach Pakistan versetzt und steht schon bald in den geheimen Folterkammern des amerikanischen Geheimdienstes. Dort wird sie Zeugin von brutalen Folter- und Verhörmethoden und auch der Zuschauer muss lange zusehen: Schläge, Waterboarding (simuliertes Ertrinken), das Entblößen von Genitalien, das Führen von Gefangenen an einer Hundeleine und das Einsperren in eine zu enge Holzkiste. Die Bilder sind schwer zu ertragen. Maya zwingt sich hinzusehen, später wird sie selber Folterbefehle erteilen. Der Zweck heiligt die Mittel. Eine kritische Auseinandersetzung zum Thema Folter findet im Film jedoch nicht statt und der Zuschauer muss sich fragen, ob “Zero Dark Thirty” Folter nun rechtfertigt oder kritisiert. Bigelow selbst bestreitet einen Folter-Werbefilm gedreht zu haben. “Die Folter war nicht der Schlüssel zur Ergreifung Osama bin Ladens. Aber sie ist ein Teil der Geschichte, den wir nicht ignorieren können.”
Für Maya wird die Jagd auf bin Laden zur Obsession. Sie wälzt stundenlang Akten an ihrem Schreibtisch und analysiert scheinbar völlig unbeeindruckt Videomaterial von Folterverhören. Immer wieder muss sie auch gegen die bürokratische Maschinerie des US-Geheimdienstes ankämpfen, in dem sie selbst ein Rädchen ist. Sie muss Rückschläge hinnehmen und ihre Suche nach bin Laden endet immer wieder in Sackgassen. Nur knapp überlebt sie zwei Terroranschläge. Ihre Vorgesetzten verlieren allmählich das Interesse an bin Laden und wollen stattdessen lieber weitere Anschläge verhindern. Doch wie Sisyphos geht Maya gegen alle Widerstände ihren Weg verbissen weiter. Von der privaten Maya erfährt man in den fast 2 1/2 Stunden nichts. Sie hat keine Affären, keine Freunde und keine Familie. Die Handlung liefert kaum Gründe, um für die Hauptfigur des Films Sympathie zu empfinden. Erst in der Schlusssequenz des Films keimt beim Zuschauer Mitleid für sie auf, als sie nach bin Ladens Tod in Tränen ausbricht, da sie begreift, dass es in ihrem Privatleben nichts mehr zu geben scheint, dem sie sich nun zuwenden kann. Sie zahlt den Preis des Sieges. “War es das wert?”, steht in ihrem Gesicht geschrieben. Helden sehen anders aus.
Die letzte halbe Stunde des Films ist dann Action-Kino vom Feinsten. Beinahe in Echtzeit wird die Operation “Neptune’s Spear”, bei der am 2. Mai 2011 Osama bin Laden getötet wurde, nachgezeichnet. Der Filmtitel “Zero Dark Thirty” ist Militärsprache und bezeichnet den Start der Aktion eine halbe Stunde nach Mitternacht. Die wackligen Bilder der Handkamera und der grüne Farbton der Nachtsichtgeräte erzeugen eine spannende und beklemmende Atmosphäre. Beim Betrachten der Bilder muss man zwangsläufig an das Foto von Barack Obama und Hillary Clinton denken, wie sie mit angespannten Gesichtern die Mission im Situation Room des Weißen Hauses live mitverfolgten.
Es bleibt unklar, wie viel von der Handlung Fiktion ist und was der Realität entspricht. Regisseurin Bigelow und Drehbuchautor Boal gaben an, dass es einen intensiven Austausch mit Insidern gegeben habe. Experten, unter anderem der derzeitige CIA Chef, Michael Morrell, kritisieren, dass die Folterszenen zu extrem dargestellt worden seien und ohnehin nur wenige Terrorverdächtigen diesen “intensiven Verhören” unterzogen worden seien.
Bigelow hat mit Zero Dark Thirty ein kluges, unbequemes und sehr sehenswertes Werk geschaffen. Die Abbildung der Realität ist nüchtern und verstörend zugleich. Der für fünf Oscars nominierte Film (u.a. in den Kategorien “Bester Film”, “Bestes Drehbuch” und “Beste Hauptdarstellerin”) fordert dem Zuschauer die gesamte Aufmerksamkeit ab und bringt ihn in eine moralische Zwickmühle, da er selber keine politische oder moralische Stellung bezieht. Weder bewertet er den “Krieg gegen den Terror” noch seine fragwürdigen Methoden. Und deswegen ist der Film mit dem Abspann nicht zu Ende, in den Köpfen der Zuschauen geht er noch lange weiter.
Sehr gut geschrieben – der Text spiegelt genau das wider, was ich beim Sehen des Filmes empfunden habe. Übrigens tolle Schülerzeitung – weiter so!