Das ist alles nur geklaut
Eine ruhmreiche, glänzende Persönlichkeit, hell strahlend, bebrillt und gegelt. Der Polit-Star schlechthin – an den Pranger gestellt, gerichtet, gehängt! Wer tut so etwas? Wer wagt es, Karl-Theodor zu Guttenberg Anfang 2011 des Plagiats bei seiner Dissertation zu bezichtigen? Wer wagt es, den Messias der politischen Bühne zu kreuzigen – und dass nur, weil er massive Fehler begangen und gewollt getäuscht hat? Was bitte sollen schon wissenschaftliche Standards sein, wenn es gilt, sich Ruhm unehrenhaft zu erschleichen?
Zwei Jahre später, jetzt, 2013. Das Drama wiederholt sich! Eine weitere Person wird gerichtet. Zwar ist sie nicht annähernd so ausstrahlungsstark und publikumswirksam wie der allseits beliebte KT – doch ist der Plagiatsvorwurf bei ihr umso ironischer. Freitag trat die Bildungsministerin Frau Dr. Annette Schavan – pardon, Frau Schavan – von ihrem Amt zurück. An ihre Stelle setzte Bundeskanzlerin Merkel Johanna Wanka, Ministerin für Wissenschaft und Kultur in Niedersachsen. Zuvor hatte die Universität Düsseldorf Schavan den Doktortitel aberkannt.
Was ist los in Akademiker-Deutschland? Wieso fliegen nun quasi im Stundentakt Ungenauigkeiten, Plagiate, Täuschungsversuche bei den Doktorarbeiten von Politikern auf? Was soll diese gemeine Hetzjagd einiger publicity-geiler Fehlerspäher? Eine Verschwörung?
„Ein Plagiat (über frz. aus lat. plagium ‚Menschenraub‘) ist die Anmaßung fremder geistiger Leistungen. Dies kann sich auf die Übernahme fremder Texte oder anderer Darstellungen (z. B. Zeitungs-, Magazinartikel, Fotos, Filme, Tonaufnahmen), fremder Ideen (z. B. Erfindungen, Design, Wissenschaftliche Erkenntnisse, Melodien) oder beides gleichzeitig (z. B. Wissenschaftliche Veröffentlichungen, Kunstwerke, Romane) beziehen.“ – Und jetzt bloß nicht die Anführungszeichen vergessen und die Quelle kenntlich machen: Wikipedia, „Plagiat“ vom 9. Feb. ‘13.
So einfach kann man auf fremdes Gedankengut verweisen. In diesem Fall ist der Quellenverweis nötig, da direkt wortwörtlich zitiert wurde. Verweise sind aber auch dann notwendig, wenn sich der Autor maßgeblich am Gedankengang eines anderen Textes orientiert oder auf wesentliche Inhalte dieses Textes anspielt respektive diese benutzt. In jeglicher Form von Manifestation von Gedanken – sei es Zeitungsartikel oder wissenschaftliche Arbeit – ist es keinesfalls verboten, Erkenntnisse und Theorien von anderen zu verwenden, ja es ist sogar geboten, um so seinen eigenen Standpunkt untermauern und genauer darlegen zu können. Wichtig ist eben nur, deutlich zu machen, WOHER dieser Gedanke stammt.
Ein Auswuchs dieser durchaus angebrachten wissenschaftlich-methodischen Korrektheit allerdings stellt meiner Meinung nach das sogenannte „Eigenplagiat“ da, nach dem es verboten sei, eigene Textfragmente aus SEINEN EIGENEN vorherigen Arbeiten wiederzuverwenden. Dieses gewissermaßen „Text-Recycling“ wird verpönt. Es sei verpflichtend, jegliche benutzte Quelle anzugeben – und sei es die Referenz auf eigene Arbeit. Was genau aber macht diese Eigenreferenz sinnvoll? Angenommen, ich als Doktorand unterlasse diese, wem schade ich damit? – Dem Autor, also mir. Ich schade mir, indem ich mir nutze? An dieser bereits erbrachten gedanklichen Leistung habe ich die „Eigentumsrechte“, das Urheberrecht – und damit auch das Wiederverwertungsrecht!
Abgesehen von dieser Ausgeburt übertriebener Penibilität aber sind Standards in Forschung und Wissenschaft unabdingbar. Geistiges Eigentum gehört genauso geschützt wie materieller Besitz. Nicht zuletzt, da die Urheber durch ihre Werke leben. Vielleicht sind sie nicht finanziell von Erfolg oder Misserfolg abhängig, doch gilt: Leistung verdient Anerkennung. Der Lorbeerkranz darf nicht dem umgehangen werden, der sich dessen nicht verdient gemacht hat.
Besonders in derart wichtigen wissenschaftlichen Arbeiten wie Dissertationen, deren Leiden die Autoren durchaus auch aus dem Wunsch nach „ornationem nominis“, also aus „Namensschmückung“, in Kauf nehmen, ist Genauigkeit besonders deshalb wichtig, weil am Ende ein „summa cum laude“ winkt, das dem Autor ein Leben lang Anerkennung geben wird.
Wieso aber wird nun ein Plagiatsskandal nach dem anderen ans Tageslicht befördert? Ein möglicher Erklärungsansatz ist, dass mit den Mitteln des Internets heutzutage Plagiate wesentlich einfacher entdeckt werden können. Mittels Plagiats-Foren (wie z.B. Vroni-Plag) können sich ebenso mehrere Experten anonym gegen den Doktor und baldigen Ex-Doktoren verlinken. Unterstellen wir den Akademikern von damals das folgende nicht, ziehen aber die Überlegung in Betracht: Die Doktorväter von damals waren offensichtlich eher darum bemüht, ihre Schäfchen mit Titeln zu versehen – und in der Konsequenz auch sich zu rühmen – als tatsächlich sowohl auf fundierte Kenntnis und Erarbeitung des Themas als auch auf wissenschaftliche Korrektheit zu achten.
Zu klären bleibt nun noch, warum es gerade Politiker sind, die durch Plagiate fallen. Zweifelhaft ist nämlich, ausschließlich die führenden Köpfe unseres Landes schummelten damals bei der Erlangung ihrer Titel. Der „gemeine Akademiker“ wird dies ebenso getan haben. Durch ihre ständige Präsenz in den Medien und den Anspruch der Bevölkerung an einen Politiker, auch als moralische Leitinstanz zu fungieren, steht diese Personengruppe im Fokus der Fehlerspäher.
Solange die Gesellschaft also nicht antiindividualistisch-kollektivistisch orientiert ist, wird es nötig sein, geistiges Eigentum zu beschützen, „geistigen Diebstahl“ anzuprangern und an wissenschaftliche Standards festzuhalten.